Rechnen, bis es passt
Es sollte der große Befreiungsschlag der neuen Regierung sein: eine Billion Euro für die Verteidigung und die Infrastruktur, finanziert über die Aufnahme neuer Schulden. Doch nun droht ein Problem: Die Zusatzausgaben sind möglicherweise nicht mit europäischem Recht vereinbar. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, die in Berlin kursiert und die der Regierung eine Entscheidung aufzwingt, die sie eigentlich vermeiden wollte.
Hintergrund: In der EU sollen verbindliche Regeln für die Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten verhindern, dass sich einzelne Länder zu sehr verschulden und die Stabilität der gemeinsamen Währung gefährden. Diese Regeln wurden kürzlich noch einmal verschärft. Vor allem Christian Lindner (FDP) hatte sich in seiner Zeit als Finanzminister dafür starkgemacht – und sich gegen Frankreich und Italien durchgesetzt.
Die Staatsschuldenquote eines Landes darf demnach den Wert von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten. Ist das doch der Fall, dann vereinbart die betreffende Regierung mit der Europäischen Kommission einen mehrjährigen Entschuldungsplan. Die deutsche Schuldenquote beträgt aktuell rund 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wird sie aber wegen des Finanzpakets schon 2030 bei 74,8 Prozent liegen. Laut den Autoren des Bruegel-Papiers könnte das schlimmstenfalls dazu führen, dass Deutschland "nicht in der Lage" sein wird, zusätzliche Gelder aufzunehmen.
In Berlin ist das Problem erkannt. Man habe – so heißt es in Kreisen der alten und der neuen Regierung – die Kommission frühzeitig in die Planungen eingebunden und arbeite an Lösungen. Eine Möglichkeit wäre, die Schuldenregeln wieder zu lockern. Für Merz dürfte es allerdings schwer sein, einen solchen Schritt den eigenen Anhängern zu vermitteln – schließlich hat die Union jahrelang beklagt, dass die europäischen Regeln nicht streng genug sind. In den anderen Mitgliedsstaaten ist man von dieser Variante ebenfalls nicht begeistert. Länder mit einer niedrigen Verschuldung fürchten um die Stabilität der Staatsfinanzen. Länder mit einer hohen Verschuldung würden lieber gemeinsame europäische Anleihen auflegen, als die nationale Kreditaufnahme weiter zu erhöhen (was bei dadurch steigenden Zinsen für sie teuer wird). Dazu ist aber Deutschland nicht bereit.
Die Bundesregierung setzt darauf, dass die Kommission bei der Anwendung der neuen Regeln großzügig vorgeht. Schließlich dringt die Brüsseler Behörde seit Jahren darauf, dass Deutschland mehr Geld ausgibt. Dabei könnte Merz davon profitieren, dass die EU sehr viel Spielraum bei der Auslegung der Vorschriften hat. So kann ein Land mehr Schulden machen, wenn die damit finanzierten Maßnahmen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhöhen. Die Logik: Ein höheres Wachstum erhöht auch die Steuereinnahmen und damit die Fähigkeit, Schulden zu tragen. Deshalb betont Merz, dass die von ihm geplanten Reformen das Wachstumspotenzial steigern.
Allerdings bezweifeln viele Ökonomen, dass die Größenordnungen ausreichen, um die Milliardenausgaben zu rechtfertigen. Gleichzeitig gilt es als unwahrscheinlich, dass die Kommission das Paket stoppt, weil die politischen Folgekosten zu hoch wären. Man wird also im Zweifel wahrscheinlich so lange rechnen, bis das gewünschte Ergebnis da ist.