Wenn das Baby nachts schreit: Die Rolle der Gene – und der Väter
Ein „Schreibaby“ war die Tochter zwar nicht. Dennoch erinnert sich der Erbonkel sehr wohl an die Verrenkungen, die nötig waren, um das nach gefühlt stundenlanger Quengelei und Auf-dem-Arm-Herumgetrage endlich eingeschlafene Kind ins Bett legen zu können, ohne dass es wieder aufwacht.
Der jüngste Sohn hingegen schlief und schläft bis heute bei jedem Lärm und zu jeder Zeit ein – ganz ohne Gebrüll.
Der Erbonkel

© Lisa Rock für den Tagesspiegel
Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne des Wissenschaftsjournalisten und Genetikers Sascha Karberg.
Warum ist das so? Vor allem, warum ist das nur bei Menschen so? Die Säuglinge der nächsten Verwandten, Schimpansen etwa, sind des Nachts erholsam ruhig, die Mütter können schlafen und Kraft für den Tag tanken. Den meisten menschlichen Eltern von Neugeborenen hingegen ist das Schlafdefizit ins Gesicht geschrieben.

© IMAGO/YAY Images
Die Evolution muss sich also irgendwann dafür entschieden haben, Menschenbabys schreien zu lassen. Eine Theorie besagt, dass dies nicht allein daran liegt, dass menschliche Säuglinge häufiger gestillt werden müssen, um den Fakt auszugleichen, dass sie aufgrund ihres großen Kopfes vergleichsweise früh und somit relativ unreif geboren werden.
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Möglicherweise diente das häufige Schreien und infolgedessen Stillen in der frühen Menschheitsgeschichte auch dazu, zu rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften zu verhindern.
Denn solange Mütter stillen, produzieren sie das Hormon Prolaktin, was einen gewissen verhütenden Effekt hat. Zwar kann es Schwangerschaften nicht hundertprozentig vermeiden, reduziert jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis erheblich. Das Schreien erhöht die Stillfrequenz, was den Verhütungseffekt durch den gestiegenen Prolaktinspiegel verstärkt. Der ständige Schlafmangel erledigt dann den Rest.
Das führt, zusammen mit einem beschränkten Nahrungsangebot, in ursprünglichen Jäger-Sammler-Gesellschaften dazu, dass die Frauen – durchschnittlich – nur alle vier Jahre Kinder bekommen. Die Eltern konnten sich bei Ihrer Pflege auf dieses eine Kind konzentrieren, es mehr stillen und es besser versorgen, statt sich um mehrere gleichzeitig kümmern zu müssen. Ein wichtiger Vorteil zu einer Zeit, als die Kindersterblichkeit noch viel gravierender war als heute.
Bei den meisten menschlichen Neugeborenen sind die „Schrei-Gene“ daher also – mal mehr, mal weniger – aktiv. An den Müttern zehrt das naturgemäß besonders stark. Daher dimmen sie diese Gene bei der Weitergabe über die Eizelle an den späteren Säugling herunter.
Ganz anders die Väter, die drehen die „Schrei-Gene“ im Zuge dieser „epigenetischen Prägung“ in den Samenzellen eher auf. Denn je mehr das Baby schreit, umso häufiger wird es gestillt und Papis kostbare Gene haben bessere Überlebenschancen.
Ein „Kampf“ zwischen mütterlichen und väterlichen Genen: Die Väter kurbeln die Schrei-Gene an, die Mütter dimmen sie herunter.
Wenn das Baby also mal wieder um 2 Uhr schreit, dann gern mal den Vater erinnern, dass es vor allem seine Gene sind, die da brüllen.
Der „Erbonkel“ – Geschichten rund um Gene, jedes Wochenende.