Chemie auf dem Acker: Kabinett kippt Vorgabe für Düngereinsatz
Nitrat im Grundwasser, Algenblüten in Flüssen und Seen durch zu viel Phosphat – Verursacher ist zu einem erheblichen Teil die Landwirtschaft. Bislang mussten die Betriebe daher bilanzieren, wie viele dieser Nährstoffe auf den Hof kommen, etwa in Form von Kunstdünger. Und sie mussten dokumentieren, wie viele ihn verlassen – etwa, wenn Gülle ausgebracht wird.
Die rechtliche Grundlage dafür, die Stoffstrombilanzverordnung, trat 2018 in Kraft. Ihre Aufhebung hat das Bundeskabinett nun am Mittwoch zur Kenntnis genommen. Sie gilt fortan nicht mehr. Was bedeutet die Rücknahme?
„Im Sinne der Landwirte“
Als „politisches Signal“ wertet Philipp Maurischat, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften an der Universität Oldenburg, den Vorgang: „Nachdem zuletzt ein Landwirtschaftsministerium von den Grünen geführt wurde, möchte die Union mit Minister Rainer nun zeigen, dass schnell im Sinne der Landwirt:innen gehandelt wird.“
Aus Sicht des Gewässerschutzes zeigt sich ein desolates Bild.
Philipp Maurischat, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften an der Universität Oldenburg
Aus Sicht des Gewässerschutzes sei das Bild aber desolat. „Deutschland verfehlt nach wie vor massiv die Leitlinien der Wasserrahmenrichtlinie“, sagte Maurischat dem „Science Media Center“. Mehr als 90 Prozent aller deutschen Gewässer wiesen keinen guten ökologischen Zustand auf.
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Henning Kage sieht dagegen eine „in vielen Teilen berechtigte Frustration über die überbordende Bürokratie im Bereich der Düngegesetzgebung“. Der Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Universität Kiel sagte: „Landwirte unterliegen hierbei umfangreichen Dokumentationspflichten und Anwendungsbeschränkungen, die nur zum Teil als wissenschaftlich belegt und zielführend zu bezeichnen sind.“
Es gibt in vielen Bereichen der Landwirtschaft eine Überregulierung.
Alfons Balmann, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien
Alfons Balmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, sieht das ähnlich: „Es gibt in vielen Bereichen der Landwirtschaft eine Überregulierung.“ In diese Kategorie falle die Stoffstrombilanzierung jedoch nicht. „Weder stellt sie Betriebe vor besondere bürokratische Herausforderungen, noch greift sie in überzogener Weise in die betrieblichen Prozesse ein“, sagte Balmann.

© IMAGO/Joeran Steinsiek
Ihre Abschaffung komme letztlich Betrieben zugute, die sich durch Düngevorgaben durchmogeln oder die über keine angemessenen betrieblichen Steuerungssysteme verfügen würden und alleine deswegen wenig zukunftsfähig seien.
Unklare Zuordnung
Ein Schaden tritt auch für solche Betriebe ein, die in Roten Gebieten wirtschaften. Das sind Regionen, in denen die Nitratbelastung im Grundwasser zu hoch ist – was an einem Viertel aller Messstellen der Fall ist. Deshalb gelten dort für alle Betriebe Einschränkungen beim Ausbringen von Dünger, auch für diejenigen, die sparsam mit Nährstoffen umgehen.
Eigentlich sollte die Stoffstrombilanzverordnung hier auf Verursachergerechtigkeit hinwirken: Betriebe mit guter Nährstoffbilanz sollten perspektivisch von den Auflagen befreit werden. Dazu wird es jetzt nicht mehr kommen.

© imago images/Jochen Tack
„Die Umsetzung des Verursacherprinzips ohne eine betriebliche Nährstoffbilanzierung ist kaum möglich“, sagte Kage. Auch wenn man das Netzwerk der Nitrat-Messstellen wie derzeit diskutiert verdichte, werde es nicht möglich sein, die Belastungen einzelnen Betrieben zuzuordnen.
Kage sieht die Gesamtsituation allerdings nicht so kritisch: Die Nitratkonzentration im Grundwasser Niedersachsens und Schleswig-Holsteins sinke bereits langsam. Auch in den Zuflüssen von Nord- und Ostsee lägen sinkende Trends vor. „Insofern wäre ein Verlust dieser Bilanzierungsgrundlage nicht mit einer direkten Gefährdung der Qualität deutscher Gewässer verbunden“, sagte Kage.
Der Verband kommunaler Unternehmen, der auch die Wasserversorger in Deutschland vertritt, kritisierte die Abschaffung der Stoffstrombilanzverordnung dagegen scharf. „Wer die Bilanz kippt, ohne ein neues Steuerungsinstrument vorzulegen, nimmt eine Beeinträchtigung des Grundwasserschutzes in Kauf“, warnte Vizepräsident Karsten Specht. Deutschland drohe nun ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser.