Warum die Fluten in Texas so tödlich waren
Am Ufer des Guadalupe River wachsen Pekanussbäume, der offizielle Staatsbaum von Texas. Man kann den Fluss im Süden des Bundesstaates beim Raften und Kanufahren erkunden, er schlängelt sich durch wilde Landschaften. Ein Naturparadies, entlang dem zahlreiche Sommercamps liegen. Besonders eines von ihnen erlangt nun durch katastrophale Sturzfluten traurige Bekanntheit: Camp Mystic, etwa 100 Kilometer nordwestlich der Stadt San Antonio, ein Camp nur für Mädchen. Die heftigen Regenfälle überraschten sie in der Nacht zu Freitag. Mehr als 70 Menschen starben insgesamt infolge der Fluten in Texas, 10 Mädchen werden noch vermisst.
Zwei Tage nach den verheerenden Ereignissen wird allmählich klar: Was hier passiert ist, ist mehr als Wetter – und das Ausmaß der Tragödie hätte nicht so schlimm sein müssen. Im Nachgang einer Naturkatastrophe klingt das immer schnell gesagt, und der Fall in Texas zeigt, es gibt nicht die eine Instanz, die versagt hat. Er zeigt vielmehr, was passiert, wenn kompliziertes Wetter auf Klimawandel, auf dessen Leugner oder Verdränger und auf fragwürdige Sparmaßnahmen trifft.
Ein Tropensturm entwickelt sich ungewöhnlich weiter
Als sich Ende Juni der Tropensturm Barry aus dem Golf von Mexiko in Richtung der mexikanischen Küste bewegte, war das für diese Jahreszeit nicht ungewöhnlich. Beim Landfall am 29. Juni schwächte er sich ab und löste sich schließlich im mexikanischen Gebirge auf. So weit, so erwartbar. Ein Teil der feuchtwarmen Luft allerdings entwickelte sich zu einem kleinen, rotierenden Wirbelsystem, das weiter nach Norden zog, Richtung Texas. Wie ein Wasserrad transportierte es die warme, feuchte Luft aus dem Golf. Und durch die Luftdruckverhältnisse entstand noch eine Besonderheit – immer wieder entstanden neue Gewitterzellen, die in den Wirbel gezogen wurden, Experten sprechen von einem "Trainingseffekt". Der Wirbel sog sich voll mit Wasser, mit Energie, bis sich alles vor allem im Bezirk Kerr entlud.
Etwa vier Monatsniederschläge kamen in sechs Stunden mancherorts herunter. Sie trafen auf ausgetrocknete Böden, ideale Bedingungen für Sturzfluten, wenn die Wassermassen direkt in Flüsse wie den Guadalupe abfließen. Dessen Pegel stieg etwa bei Kerrville in weniger als einer Stunde um acht Meter lebensgefährlich an.
Nun ist klar, heftige Fluten gab es schon immer, an vielen Orten der Welt – das Wetter war schon immer ein Risiko. Dass das Potenzial für tödliche Sturzfluten, etwa im Süden der USA, aber merklich steigt, ist kein Zufall – sondern reine Physik. Denn wie gefährlich ein Unwetter sein kann, liegt vor allem an der Energie, die es transportiert. Die Meere werden immer wärmer, liefern also mehr Energie. Der Golf von Mexiko war am Freitag 0,6 Grad Celsius wärmer als im Mittelwert von 1982 bis 2010. Mehr Wasser kann so verdunsten und Tropenstürme, oder eben Systeme wie den Wirbel über Texas speisen. Gleichzeitig kann die wärmere Atmosphäre auch mehr Wasserdampf, also wieder mehr Energie, aufnehmen. Pro zusätzlichen Grad Celsius Lufttemperatur sind es ungefähr sieben Prozent mehr Wasserdampf. Auch das kann zu heftigeren Unwettern führen.
Der Klimawandel macht Tropenstürme nicht nur auf diese Weise gefährlicher, die auch in wissenschaftlicher Fachliteratur bereits beschreiben wird. Durch die unterschiedlich schnelle Erwärmung der Arktis und des Rests der Welt scheinen sich Windsysteme zu verändern. Die Jetstream-Winde in acht bis zwölf Kilometern Höhe werden schwächer und beginnen, vermehrt zu schlingern. Dieser Mechanismus, so vermuten es Forschende, sorgt dafür, dass Wetterlagen, seien es Hitzeglocken oder Unwetter, sich längere Zeit als üblich an einer Stelle halten werden. Immer häufiger zeigt sich genau das, etwa bei den massiven Sturzfluten in Griechenland, Libyen, der Türkei und Bulgarien im September 2023.
Es ist also erwartbar, dass mit dem Klimawandel extremere, potenziell tödlichere Unwetter häufiger werden. In Texas beobachtet man schon heute, dass heftige Regenfälle, die innerhalb eines Tages fallen, seit 1960 um rund sieben Prozent intensiver und früher als Jahrhundert-Regenereignisse bezeichnete Regenfälle bis zu knapp dreimal häufiger auftreten (PDF – Texas State Climatologist). Es sind so starke Veränderungen, die unbedingt eine Anpassung erfordern, um Menschenleben zu retten.
Diese Regenmengen wurden nicht vorhergesagt
Teil dieser Anpassung müssen genaue Vorhersagen und sichere Meldesysteme sein. Gerade letztes scheint in Texas nicht richtig funktioniert zu haben. Meteorologen und Behörden wussten zwar, wie sich der Sturm bewegte und warnten vor großen Regenmengen sowie vor einem Risiko für Sturzfluten. Aber wie viel Regen wirklich fallen und wie schnell es passieren würde, konnten die Prognosen nicht annähernd vorhersagen. Ein Stück weit war es womöglich Zufall, den die Modelle nicht abbilden konnten.
Nun ist gerade die genaue Niederschlagsvorhersage eine der schwierigsten Disziplinen der Meteorologe – aber Modelle lassen sich weiterentwickeln und trainieren. Dafür brauchen sie aber konstant aktuelle Daten, vor allem aus einem sich verändernden Klima. Und dafür muss man allerdings nicht nur den Klimawandel anerkennen, sondern auch die Forschung an diesen Modellen und die Datenerhebung finanzieren. Die aktuelle Regierung von Donald Trump hingegen sorgte mit massiven Mittelkürzungen bei Behörden und in der Wissenschaft dafür, dass etwa beim Klimadienst NOAA und der Wetterbehörde NWS sowohl Fachkräfte gehen mussten, als auch Datengrundlagen, wie Wetterballons, dezimiert wurden.
Diese Budgetkürzungen betreffen nach Recherchen der New York Times auch Behörden in Texas. Wichtige Stellen in den zuständigen Büros des Nationalen Wetterdienstes in San Antonio und San Angelo sollen unbesetzt gewesen sein. Unter anderem verantwortliche Positionen in den Bereichen Hydrologie, Meteorologie, Wettervorhersage und Forschung. Ein Meteorologe, laut New York Times verantwortlich für Unwetterwarnungen, soll Ende April ein Frührentenpaket angenommen haben, das die Regierung Trump anbot, um die Behördenstellen zu reduzieren. Andere Meteorologen versichern aber, dass die Büros sehr gute Arbeit bei der Vorhersage machten.
Trotzdem ist klar, dass weniger Geld für Forschung Vorhersagen langfristig schlechter macht und ausgehöhlte Behörden funktionierende Meldeketten riskieren – bis sie versagen. Zumal: Im schwer betroffenen Kerr County scheint es nicht mal ein Flutwarnsystem zu geben. Laut dem County-Verwaltungschef Rob Kelly wollen Anwohnerinnen und Anwohner dafür nicht bezahlen. Vielleicht ändert sich nun dort diese Meinung. Denn vielleicht hätte Camp Mystic, so wie andere Camps am Fluss, evakuiert werden können. Sicher ist aber: Der Idealismus hinter der Vorstellung, dass sich diese Welt nicht ändert, dass der Klimawandel nicht existiert, hilft nicht weiter und hat immer und immer wieder Frauen, Männer und Kinder auf dem Gewissen.