Ohne jeden Zweifel: Klimaschutz ist Menschenrecht

In Den Haag wurde heute Geschichte geschrieben. Mit der höchstmöglichen legalen Autorität auf dieser Welt haben 15 Richter und Richterinnen einstimmig festgestellt, dass die Staaten der Vereinten Nationen dazu verpflichtet sind, ihr Bestes zu tun, um die Erhitzung des Planeten zu bremsen. Der Internationale Gerichtshof hat damit eine Rechtsentscheidung vorgelegt, die weitreichender ist als alles andere, was bisher an diesem Ort geschehen ist.

In seiner zweistündigen Ausführung wurde das Gericht dabei so deutlich, wie es kaum einer erwartet hatte: Die Erschließung neuer Öl- und Gasquellen bezeichnete der Vorsitzende Richter Yuji Iwasawa als eine womöglich "rechtswidrige Handlung", genauso wie Subventionen, die in die Produktion und Konsumtion fossiler Energien fließen. Staaten müssten Unternehmen und das Handeln von Privatpersonen dahingehend regulieren, dass die vor zehn Jahren in Paris vereinbarten Klimaziele eingehalten werden. Wo dies nicht geschehe und wo bereits Schäden eintreten, könnten Reparationszahlungen erfolgen, die von jenen Staaten bezahlt werden müssten, die eine besonders große Verantwortung für die Klimakrise tragen. Das alles verankerte der IGH in einem "Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt" in einem "stabilen Klimasystem". Das bilde die Grundlage des menschlichen Gedeihens und sei für alle anderen Menschenrechte unerlässlich. 

Es ist ein Richtspruch wie ein Donnerschlag. Er besagt: Es ist nicht nur politisch und moralisch geboten, die Emissionen zu reduzieren und Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren, sondern sogar eine völkerrechtliche sowie menschenrechtliche Verpflichtung. Und es ist ein Donner, der umso lauter schallt, weil es um das Klima zuletzt still geworden ist. Viele Gesellschaften rund um die Welt, die deutsche eingeschlossen, sind in eine neuerliche Phase des Beschweigens und des Blockierens von Klimaschutzmaßnahmen eingetreten, nachdem die Fridays-for-Future-Bewegung 2019 zeitweilig für ein größeres Problembewusstsein gesorgt hatte. 

Im selben Jahr hatte eine Gruppe von 27 Jurastudierenden der University of the South Pacific auf den Fidschi-Inseln den Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof angestoßen. 2020 bildeten sie mit Jugendlichen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa die Organisation World's Youth for Climate Justice und versuchten, Regierungsvertreter dafür zu gewinnen, die Frage nach dem Klima höchstrichterlich klären zu lassen. 2021 griff der kleine pazifische Inselstaat Vanuatu die Resolution auf und brachte sie 2023 in die Vollversammlung der Vereinten Nationen ein, von der anschließend der Auftrag an den IGH erging, eine advisory opinion zu verfassen, ein juristisches Gutachten zur Klärung legaler Fragen rund um den Klimawandel.  

"Dies ist der Ruf der jungen Generationen nach Gerechtigkeit vor dem höchsten Gericht der Welt", sagte Vanuatus Premierminister Bob Loughman damals. Und nun ist den Jugendlichen tatsächlich Gerechtigkeit widerfahren. Denn der IGH las nicht nur den zögerlichen Staaten und jenen, die mit Volldampf in die Vergangenheit zurückrauschen wollen, wie zurzeit die USA, die Leviten, sondern betonte auch ein intergenerationelles Recht: Wie schon der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts 2021 betonten die Richter in Den Haag, dass die heutige Politik nicht zulasten der jungen Menschen von heute und künftiger Generationen gehen darf.   

Auch das noch? - Der freundliche Krisenpodcast: Fossile Lobby / "Leute, wir sind noch immer unglaublich abhängig!"

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Wer glaubt, Deutschland bekomme die meiste Energie längst aus grünen Quellen, liegt falsch. Vom Brötchenbacken über die Dusche bis zur Fahrt ins Büro: Für vieles im Alltag verbrauchen wir immer noch vor allem Gas oder Öl. 76 Prozent der Primärenergie kommen aus fossilen Quellen. Die Journalistin Annika Joeres sorgt sich, dass das auch weiter so bleibt, und warnt: "Jetzt dreht die fossile Lobby noch mal richtig auf, um ihr Geschäftsmodell auch in Zukunft zu erhalten."

In jeder Folge von "Auch das noch?" sprechen ZEIT-Politikredakteurin Petra Pinzler und Wissenschaftsredakteur Stefan Schmitt über eine Krise der Gegenwart: Es geht um die Klimakrise, das Artensterben, die Energiekrise und Kriege. Jedes Mal hilft eine Expertin oder ein Experte dabei zu verstehen, wie alles zusammenhängt. Nicht um zu verzweifeln, sondern weil Verstehen der erste Schritt zur Lösung ist. Und um Lösungen geht es natürlich auch.

Die Quellen zur Folge finden Sie hier.

Das Recht, das die Richter in Den Haag beschwören, es ist unmittelbar existenziell: Der Versuch, das verletzliche Leben auf diesem Planeten zu schützen. Dabei beziehen sie sich sogar auf das in Paris vereinbarte Ziel, den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad zu begrenzen, was juristisch konsequent ist, auch wenn das Ziel höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahrzehnt gebrochen wird. "Eine Erwärmung um 1,5°C", so steht es im Gutachten, "gilt für die meisten Länder, Gemeinschaften, Ökosysteme und Sektoren als nicht sicher und birgt erhebliche Risiken für natürliche und menschliche Systeme".  

Hier kommt von vielen der Einwand, dass der IGH nur eine advisory opinion, ein rechtliches Gutachten vorgelegt hat. Das sei nicht rechtlich bindend, für manche sogar kaum das Papier wert, auf dem es geschrieben steht, weil sich die Staaten ohnehin nicht dran halten werden. Der Hinweis auf die fehlende Durchsetzbarkeit verkennt aber mehrere wichtige Funktionen des Internationalen Gerichtshofs und ganz allgemein von Rechtsprozessen.  

Zuerst einmal setzen die advisory opinions verbindliche Rechtsstandards, auf die sich andere Gerichte berufen können. Das heißt, wenn immer ein Land oder eine Regierung oder ein Unternehmen klimarechtlich verklagt wird, sind die Chancen nun höher, dass der Kläger Recht bekommt. Regierungen können mit dem Gutachten im Rücken effektivere Klimapolitik rechtfertigen und durchsetzen. Zweitens schaffen Klagen Aufmerksamkeit für das Thema. In diesem Fall: Nie lag das Verbrechen, den Klimawandel zu befeuern und den Übergang in eine postfossile Welt zu blockieren, offener vor den Augen der Welt. Und zuletzt leistet das juristische Gutachten des IGH einen wichtigen Beitrag zu einer epistemischen Kultur, die in einem langwierigen Prozess der Tatsachenprüfungen zu belastbaren Ergebnissen führt – in Zeiten heißlaufender Debatten, die von Gefühlen und politischen Manövern, nicht von Fakten bestimmt werden, keine Kleinigkeit.  

Das wird auch Konsequenzen hierzulande haben. Radikalisierte Konservative und Rechtsradikale nehmen neben Frauke Brosius-Gersdorf mittlerweile auch die zweite Kandidatin für das Verfassungsgericht aufs Korn, Ann-Kathrin Kaufhold. Warum? Unter anderem, weil sie – aufgepasst – Gerichten beim Klimaschutz eine wichtige Rolle zubilligt. Und Klimaschutz, das ist natürlich "Aktivismus". 

Diese Position und die generelle Leugnung des anthropogenen Klimawandels und seiner dramatischen Auswirkungen werden es zukünftig schwieriger haben, argumentativ zu verfangen. Denn dafür müsste man voraussetzen, dass auch der IGH Aktivismus betreibt. Genau wie der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, der Anfang Juli die Klimakrise als Menschenrechtsnotstand bezeichnete; der Internationale Seegerichtshof, der im Mai 2024 eine ähnliche advisory opinion vorlegte, ebenso. Und natürlich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der kurz zuvor den "Klimaseniorinnen" recht gegeben hatte, dass fehlender Klimaschutz des Schweizer Staates ihre Menschenrechte verletzt. 

Offenbar alles ein großer globaler Plot für die Klimapolitikgegner! Die versammeln sich längst nicht mehr nur bei der AfD, sondern auch in Newsportalen wie Nius, bei der Wochenzeitung Cicero, bei der Tageszeitung Die Welt und natürlich auf den einschlägigen Kanälen der sozialen Medien: Dort kann man dem traurigen Schauspiel beiwohnen, wie radikalisierte Konservative reihenweise in fossile, verschwörungsideologische Fantasiewelten abdriften, wo sie sich Gedanken darüber machen, wie man die Demokratie vor der Klimadiktatur der Richter retten könne.  

All denen sagen die Richter in Den Haag nun: Schaut auf die "beste verfügbare Forschung", die es zum Klimawandel und für den Übergang in eine postfossile Welt gibt, lest die Berichte des Weltklimarats, des IPCC. Sie zeigen, dass eine Transformation weg von fossilen, hin zu erneuerbaren Energieträgern nicht nur notwendig ist, sondern auch praktikabel und ökonomisch sinnvoll. Das hat sich in den letzten Jahren tatsächlich mehr und mehr bestätigt: Eine Studie kam jüngst zum Ergebnis, dass weltweit mittlerweile 91 Prozent der erneuerbaren Energieprojekte günstiger sind als neue fossile Projekte.   

Mit ihrer Huldigung der Menschenrechte und des Völkerrechts haben die Richter in Den Haag also auch nebenbei an die ökonomische Vernunft appelliert. Vor allem aber haben sie mit ihrer advisory opinion die Hoffnung erneuert, dass die Staaten angesichts der existenziellen Bedrohung des Klimawandels wieder zueinanderfinden. "Internationale Zusammenarbeit ist unumgänglich", sagte der Vorsitzende des IGH und sprach von einer "Pflicht zu kooperieren".  

Das sollte auch auf nationaler Ebene gelten. Hier muss die Mitte der Gesellschaft zusammenhalten und in einer großen konservativ-liberal-sozialen Koalition eine dem IGH-Gutachten angemessene Klimapolitik betreiben. Das ist ihre juristische Pflicht. Alles andere wäre ein Anschlag auf unsere Demokratie und den Rechtsstaat.