Manche Gefahr erkennt nur der Mensch

Ein vergleichbares Unglück hat es in Deutschland in diesem Jahrhundert noch nicht gegeben: Der Zugunfall im Landkreis Biberach wurde ausgelöst durch einen Erdrutsch nach Starkregen, drei Menschen starben, mehr als 40 wurden verletzt.

Wetterextreme wie Hitze, Stürme, Starkregen oder Eis sind hierzulande nur für ein bis zwei Prozent aller Störungen im Eisenbahnverkehr verantwortlich. Erdrutsche oder Gleisüberspülungen kommen so gut wie nie vor. "Der Unfall ist total tragisch", sagt Birgit Milius, Chefin des Fachgebiets Bahnbetrieb und Infrastruktur an der Technischen Universität Berlin, "aber auch sehr außergewöhnlich." Ein eiliges Fingerzeigen auf vermeintlich Verantwortliche sei falsch, eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Klimawandels für den Bahnbetrieb aber durchaus angebracht.

Es ist auch nicht so, dass die Bahn das Thema ignorieren würde. Schon 2018 und 2021 hatte sie Studien beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) dazu in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: "Die Risiken treffen die Bahn mit ihrem flächendeckenden Schienennetz in besonderer Weise." Während Störungen und Unfälle durch extremes Winterwetter in den nächsten Jahrzehnten abnehmen würden, müsse sich die Bahn auf eine Zunahme von Hitze und Sturm einstellen. Starkregen werde vor allem rund um Hagen sowie in Bayern und Baden-Württemberg zum Problem, so die Prognose des PIK. Schon heute sei das so zu beobachten.

Tatsächlich investiert die Bahn inzwischen jedes Jahr dreistellige Millionenbeträge in die Überwachung der Gleise, den Rückschnitt sturmgefährdeter Bäume, den Einbau von Sensoren, die digitale Vernetzung mit Wetterdiensten oder die Nachrüstung von Weichen und Klimaanlagen. Bei drohendem Extremwetter lässt sie Züge langsamer fahren – was nicht immer auf Verständnis stößt.

Allerdings können Stürme und Starkregen inzwischen detaillierter vorhergesagt werden, das ermöglicht gezieltere Vorsichtsmaßnahmen. Auch neue Technik wird installiert. An einigen besonders gefährdeten Gleisabschnitten hat die Bahn faseroptische Sensoren verbaut, die schon bei geringen Bodenveränderungen vor einem drohenden Erdrutsch warnen. Auch an besonders sanierungsbedürftigen Brücken kommen sie zum Einsatz. Drohnenüberflüge und die Auswertung von Satellitenbildern mit künstlicher Intelligenz liefern Aufschluss über umsturzgefährdete Bäume.

Auf Fachmessen werde sehr viel Technik präsentiert, Ingenieure seien davon fasziniert, sagt Bahnexpertin Milius, "aber nicht alles ist im praktischen Einsatz sinnvoll". Verdrahtete Sensoren könnten zum Beispiel zum Ziel von Vandalismus werden. Auch die Ausstattung der Lokomotiven mit Radar-Technik, ähnlich der bei selbstfahrenden Autos, hat Nachteile: "Gewöhnt sich der Fahrzeugführer an so ein System, guckt er womöglich weniger aufmerksam auf die Strecke." Dabei kann dort nur der Mensch eine Gefahr erkennen, die sich erst anbahnt. Einen Menschen etwa, der sich vor den Zug werfen will. Manchmal kann ein aufmerksamer Lokführer mit einer Notbremsung die Kollision noch verhindern.

Während sich die Forschung intensiv mit neuer Technik beschäftigt, wird ein anderes Thema eher vernachlässigt. Viele Normen und Richtlinien, nach denen Bahnstrecken gebaut und gewartet werden, sind jahrzehntealt. "Oft wurden sie damals nach dem Bauchgefühl der Experten festgelegt", sagt Milius. Das habe auch lange gut funktioniert. "Aber wenn sich die Klimaverhältnisse jetzt schnell ändern, ist darauf kein Verlass mehr." Böschungsbrände waren früher kaum ein Problem. In der ersten Hitzewelle dieses Sommers haben sie aber für die meisten wetterbedingten Störungen des Bahnverkehrs gesorgt. Der Zugverkehr muss dann eingestellt werden. Denn wann Züge dort ohne Schaden hindurchfahren könnten, weiß man nicht – es ist bisher nicht erforscht worden.

Bahnunfälle sind selten. Nach wie vor ist der Zug das sicherste Verkehrsmittel. Die Zahl getöteter Fahrgäste lag in den vergangenen Jahren im niedrigen einstelligen Bereich, 2021 und 2023 gab es keinen einzigen Todesfall. Im Straßenverkehr sterben dagegen durchschnittlich acht Menschen – jeden Tag.