Forschung vor dem Kratzbaum

Seit Jahrtausenden leben Menschen mit Katzen. Zumindest in Deutschland sind sie das beliebteste Haustier. Und doch geben sie der Wissenschaft Rätsel auf: Freut sich eine Katze wirklich, wenn ihr Schwanz wie ein Fragezeichen steht? Ist sie Rechtspföter oder Linksschläfer? Und – mag sie den Besitzer eigentlich?

Um die Körpersprache der Tiere zu untersuchen, rufen Forscher der Universität Bochum nun Katzenbesitzer dazu auf, ihre Tiere zu filmen und die Videos einzusenden. Schon nach einer Woche seien mehr als 7.000 Fragebögen ausgefüllt und rund 2.100 Videos eingesendet worden. "So viel Beteiligung hätte ich nicht erwartet", sagt der Versuchsleiter Patrick Reinhardt. Auch die Forschungspartner in Kanada, Italien und der Türkei hätten Einsendungen erhalten.

Das Projekt ist ein Beispiel für Citizen-Science, also Forschung, zu der Laien beitragen. Die Bochumer sind mit dem Ansatz nicht allein: In den vergangenen Jahren lässt sich ein Boom der Bürgerforschung beobachten. Eine Metaanalyse zeigte Ende Juli beispielsweise, wie oft Daten von iNaturalist in der Forschung genutzt werden. Auf der Plattform können Naturinteressierte Fotos hochladen. Im Jahr 2022 flossen sie in rund 1.400 Studien ein – zehnmal so oft wie fünf Jahre zuvor. Andere Untersuchungen zeigten einen ähnlichen Trend.

Citizen-Science hat oft pragmatische Gründe: etwa um große Gebiete abzudecken oder – wie bei den Katzenvideos – vielfältigere Datensätze zu gewinnen. Katzen sind als Labortiere ungeeignet, man könne sie "nur schwer zu uns an die Universitäten einladen", heißt es im Aufruf aus Bochum. Und die vielen Katzenvideos im Internet? "Da wissen wir kaum etwas über das Tier im Clip", sagt Reinhardt. "Jetzt fragen wir auch, ob die Katze ruhig ist oder ängstlich. So können wir ihre Persönlichkeit mit interessanten Verhaltensmustern verknüpfen."

2.100 Katzenvideos waren nach einem Aufruf der Universität Bochum schon nach einer Woche eingegangen.

Wissenschaftler wie Reinhardt setzen große Hoffnung auf Citizen-Science. Doch das Modell hat Schwächen: Freiwillige entscheiden selbst, wann und wie sie mitmachen, was zu Datenlücken führen kann. Zudem beteiligen sich meist Menschen mit ähnlichen Interessen, Bildungsniveaus oder aus bestimmten Regionen. Auch das kann Messungen und Beobachtungen verfälschen. Und: Trotz des Booms in den vergangenen Jahren münden viele Projekte unter dem Label Citizen-Science nie in wissenschaftliche Publikationen.

Eine Untersuchung von 2023 zeigt: Von knapp 900 Projekten aus über 120 Jahren und verschiedenen Fachrichtungen führte nur ein Viertel zu Veröffentlichungen. Eine weitere Studie kommt bei Biodiversitätsprojekten sogar nur auf ein Achtel. Die meisten Veröffentlichungen gehen auf einen Bruchteil der Projekte zurück. Zum Teil liegt das daran, dass es bei der Citizen-Science oft eher um Wissensvermittlung und Teilhabe geht. Darum, Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken. Onur Güntürkün, der ebenfalls am Katzenprojekt beteiligt ist, sagt: "Gerade jetzt ist mir wichtig, Menschen für Wissenschaft zu begeistern und ihre Bedeutung zu zeigen: Wissenschaft ist etwas, das wir alle gemeinsam machen, als Gesellschaft."

Umso besser, wenn man dabei noch etwas über Katzen lernt. Übrigens: Denen sollten die Forschungsobjekte eines der ältesten und erfolgreichsten Citizen-Science-Projekte lieber fernbleiben. Seit 1900 zählen zur Weihnachtszeit Laien auf dem amerikanischen Kontinent Vögel. In nur 50 Jahren ist dort mehr als jeder vierte Vogel verschwunden.