Fleisch vom Feind: In Nordspanien führte ein Dorfstreit zu Kannibalismus

Schnittspuren, Bissmarken, gebrochene Knochen: Im Norden von Spanien haben Forschende in der Nähe der Stadt Burgos Belege für Kannibalismus vor etwa 5600 Jahren gefunden.

In der Höhle El Mirador im Atapuerca-Gebirgszug entdeckte ein Team mehrerer spanischer Forschungsinstitutionen Überreste von mindestens elf Menschen. Darunter waren auch Kinder und Jugendliche, wie die Gruppe in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ berichtet.

Archäologen fanden in der Höhle El Mirador im Atapuerca-Gebirgszug die Überreste von mindestens elf Menschen, darunter Kinder.

© Maria D. Guillén / IPHES-CERCA

An den Knochen lasse sich unter anderem ablesen, dass diese Menschen wohl gehäutet, zerlegt, gekocht und verzehrt wurden, schreibt das Team. Auch Spuren menschlicher Bisse seien zu finden. Das Team spekuliert, dass dem Massaker ein Nachbarschaftsstreit vorherging. Die Spuren an den Knochen deuteten auf keine zeremonielle Praxis hin.

Dies war weder eine Bestattungstradition noch eine Reaktion auf eine extreme Hungersnot.

Francesc Marginedas, Anthropologe und Archäologe an der Universität Tarragona

„Dies war weder eine Bestattungstradition noch eine Reaktion auf eine extreme Hungersnot“, erklärt Co-Autor Francesc Marginedas von der Universität Tarragona. „Die Belege deuten auf ein gewaltsames Ereignis hin, da alles so schnell ablief – möglicherweise das Ergebnis eines Konflikts zwischen benachbarten Bauerngemeinschaften.“

„Konflikte und die Entwicklung von Strategien zu ihrer Bewältigung und Vorbeugung sind Teil der menschlichen Natur“, bemerkt Antonio Rodríguez-Hidalgo vom Archäologischen Institut in Mérida. Aufzeichnungen zeigten, dass auch in kleineren Gesellschaften „gewalttätige Episoden auftreten können, in denen Feinde als eine Form der endgültigen Eliminierung verzehrt werden“.

Schnitte, Bisse, Brüche

Die in zwei verschiedenen Bereichen der Höhle gefundenen Überreste aus dem Spätneolithikum – einem späten Abschnitt der Jungsteinzeit – seien außergewöhnlich gut erhalten, heißt es in der Studie. Spezielle Analysen deuten darauf hin, dass die Opfer aus der Umgebung kamen und mutmaßlich innerhalb weniger Tage verzehrt wurden. Die Schnitte, Bisse und Brüche sollen den Menschen erst nach ihrem Tod zugefügt worden sein.

Am Oberschenkelknochen eines Säuglings sind Schlagspuren einer Knochenmarksentnahme zu sehen.

© IPHES-CERCA

So wurden etwa am Oberschenkelknochen eines Säuglings Schlagspuren zur Entnahme des Knochenmarks entdeckt, an einem Fußknochen fanden sich Spuren von Schnitten, viele andere Knochen sind zerbrochen und fragmentiert.

Neolithische Massakern in Europa

Das Team zieht Verbindungen zu anderen neolithischen Massakern in Europa wie etwa in Talheim bei Heilbronn. Dort sollen vor rund 7000 Jahren Dutzende Menschen überfallen, getötet und verscharrt worden sein.

An einem Fußknochen fanden die Forschenden Schnittspuren.

© IPHES-CERCA

Die Forschenden gehen davon aus, dass die nun analysierte Gewaltepisode 5700 bis 5570 Jahre zurückliegt. Aus der Höhle El Mirador ist der Studie zufolge noch ein jüngerer Fall von Kannibalismus aus der Bronzezeit bekannt: Er soll nur 4600 bis 4100 Jahre zurückliegen.