Sollen Geflüchtete Deutsch mit Apps lernen?
Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 36/2025.
Vor ein paar Wochen saß ich in einem Seminar zum Thema Lernen. Drei Teilnehmende erzählten von einem Lernerlebnis der vergangenen Monate. Einer davon wollte mit einer App Türkisch lernen. Er installierte sich Duolingo – und war begeistert. Von all dem Lob und Konfetti, davon, sich mit anderen in der Gold-, der Smaragd- und schließlich in der Diamantliga zu messen, und davon, dass die kleine grüne Eule in der App ihm regelmäßig zu seinem Streak gratulierte, zu seinen ununterbrochen aufeinander folgenden Lerntagen. Er verbrachte täglich Zeit in der App. Nur Türkisch sprechen konnte er auch nach Monaten noch nicht.
Damit wir uns nicht missverstehen: Dies soll kein Text für oder gegen Sprachlern-Apps sein. Geht es um kleine Interaktionen in der Kneipe oder im Supermarkt oder auch um einen guten Grundwortschatz, können Apps wie Duolingo oder Babbel hilfreich sein und zu Erfolgen führen. Die Frage ist aber: Können User mit ihrer Hilfe eine Sprache so gut lernen, dass sie die wichtigsten Dinge des Alltags in ihr erledigen, sich mit Freunden und Bekannten unterhalten, auf der Arbeit kommunizieren können?
Das Potenzial, das aus dieser Idee erwächst, ist schließlich verlockend, nicht zuletzt in der deutschen Integrationsdebatte: Über eine Milliarde Euro kosten den Bund Sprach- und Integrationskurse für Zugewanderte, Geflüchtete und Asylbewerber:innen in diesem Jahr – auf diese Summe hat die Bundesregierung die geplanten 763 Millionen Euro kürzlich aufgestockt. 700 Stunden geht so ein Kurs, etwa ein halbes Jahr. 600 Stunden sind Sprachunterricht, 100 Stunden Alltagswissen, Recht, Kultur, Geschichte, das deutsche Wertesystem. Für Ausländerinnen und Ausländer, die ihren Aufenthaltstitel nach dem 1. Januar 2005 erhalten haben, sind die Kurse verpflichtend. Wenn man aber die deutsche Sprache mit einer zumindest in ihrer Basisvariante kostenfreien App genauso gut lernen könne, argumentierte ein Text im Spiegel vergangene Woche hoffnungsvoll, dann müssten Geflüchtete nicht mehr wochenlang auf einen Kursplatz warten, könnten früher in den Arbeitsmarkt integriert werden und der Haushalt wäre um eine Milliarde Euro reicher. Aber kann das so wirklich funktionieren?
Was die ifo-Studie wirklich sagt
Schauen wir uns die Sache, die uns in zukünftigen Debatten gewiss noch begleiten wird, einmal näher an: In ihrer Argumentation berief sich die Kolumnistin Ursula Weidenfeld darauf, dass "Migrantinnen und Migranten […] laut einer neuen ifo-Studie eine Sprache online und mit Sprachlernplattformen wie Duolingo ebenso gut erlernen [können] wie in Klassenzimmern". Nur: Das sagt die Studie gar nicht. Die Datenauswertung des Postdoktoranden Joop Adema, die im März 2025 erschienen ist, vergleicht stattdessen, wie sich die Verfügbarkeit von Sprachlern-Apps auf die Integration von Migrantinnen auswirkt.
Damit ist allein gesagt, dass die Chance höher ist, dass eine Person aus dieser Gruppe bessere Sprachkenntnisse hat und eher erwerbstätig ist, wenn es die richtige App gibt. Im Detail: Ein relevanter Duolingo-Kurs, also einer, der zwei Länder miteinander verbindet, etwa die Türkei und Deutschland, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine einwandernde Person Basiskenntnisse der Zielsprache bei der Ankunft besitzt, um etwa sechs Prozentpunkte. Gleiches gilt für die Arbeitsmarktintegration: Gibt es einen passenden Duolingo-Kurs, ist die Wahrscheinlichkeit etwa drei Prozent höher, dass der Migrierende unmittelbar nach der Ankunft erwerbstätig ist. "Das ist aber etwas anderes, als zu zeigen, ob Sprachkurse für Geflüchtete effektiv sind", sagt Studienleiter Adema. Denn: Den Vergleich mit den Sprachkursen zieht er gar nicht. Zudem hätten andere Studien bereits gezeigt, dass Sprachkurse zu den wirkungsvollsten Maßnahmen für die Integration von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt gehören.
Lässt sich eine Sprache überhaupt mit einer App lernen?
Aus Ademas Studie lässt sich also nicht ableiten, dass Sprachlern-Apps – um es mit der Spiegel-Kolumne zu sagen, "besser" funktionieren als Sprachkurse, die laut Weidenfeld "aus der Zeit gefallen" sind. Und auch die Lernforschung ist skeptisch, ob sie ihnen auch nur nahekommen. "Wie viele Menschen kennen Sie, die mit einer App eine Sprache so gut gelernt haben, dass sie sich unterhalten können?", fragt mich Diana Feick von der Universität Jena bei einem Telefonat. Ich kenne aus dem Kopf niemanden. Und auch in der ZEIT-Redaktion findet sich spontan niemand, der das von sich behaupten würde, obwohl viele Sprachlern-Apps nutzen.
Wichtiger als die Privatempirie – auch Feick, Professorin für Deutsch als Fremdsprache, kennt niemanden – ist aber ohnehin die echte. Und auch da gilt: "Im empirischen Rahmen sehen wir kaum Menschen, die eine Sprache allein mit einer App so gut lernen, dass man sie als kommunikativ kompetent bezeichnen würde", sagt Feick. Genau das aber ist Ziel der Integrationskurse. Sie sollen die gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit von Migrantinnen und Migranten fördern, indem sie ihnen die nötigen Sprachkenntnisse dafür vermitteln. In den Kursen sollen Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 nach dem Europäischen Referenzrahmen erreicht werden, der von A1 (Anfänger) bis C2 (annähernd muttersprachliche Beherrschung) geht. B1 bedeutet, dass der Kursabsolvent in der Lage sein soll, mit Sprache im Alltag zu handeln. Einkaufen, nach dem Weg fragen, mit einem Arzt sprechen, und in behördlichen Interaktionen zurechtkommen.
Mit dem Kurs soll also etwas geschafft werden, was selbst für Muttersprachler oft schwierig ist. Zur kommunikativen Kompetenz gehört dazu, dass eine Person auch ihr Nichtverstehen äußern und um Hilfe bitten kann.