2. Warum haben wir hinten keine Augen?

Mehr als 500 Millionen Jahre hatte das Auge Zeit, sich zu entwickeln, und die Evolution hatte währenddessen nicht nur eine Idee: Heutzutage laufen, fliegen oder schwimmen Lebewesen herum mit Augen an der Seite oder auf dem Kopf, es gibt Facettenaugen, Augen zum Unterwassersehen und spezielle Konstruktionen für Nachtaktive. Greift man die Wirbeltiere heraus, fällt auf: Der Ausruf "Ich hab doch hinten keine Augen!" ist universell, er könnte auch von einem Wiesel stammen oder einem Gnu. Welchen Vorteil es haben kann, die Augen vorn zu haben, weiß Lars Schmitz: "Schon die frühen Wirbeltiere schwammen mit dem Kopf voraus" sagt er, "das ermöglichte es ihnen, Hindernisse, Gefahren und Nahrung früh zu erkennen." Der Biologe vom Claremont McKenna College in Kalifornien ist ein Augen-Nerd. Es lohnt sich, auf YouTube seinen Bildvortrag über Every Eye In The Animal Kingdom anzusehen.

Die Augen vorn zu haben, hilft also bei der Orientierung – diese Position ist entwicklungsgeschichtlich ein Vorteil. Ein weiterer: "Beim Menschen als ursprünglichem Jäger, Sammler und Werkzeugmacher ist das räumliche Sehen wichtig, was zwei nach vorne gerichtete Augen erfordert", sagt Henrik Kaessmann, Evolutionärer Molekularbiologe an der Universität Heidelberg. Für den 3D-Effekt legt das Gehirn die Bilder der zwei Augen übereinander. So kann es Distanzen abschätzen. Das ist wichtig, wenn man etwa wissen will, wie weit man springen muss, um eine Beute zu greifen – oder den nächsten Ast am Baum. Auch bei Katzen liegen deswegen die Augen vorn. Bei Vögeln sind sie meist an der Seite – aber nicht bei Greifvögeln, die brauchen sie vorn.

Die Lage der Augen ist also auch ein Hinweis darauf, wo sich ein Wesen in der Nahrungskette befindet: Bei Beute- und Fluchttieren liegen die Augen meist an der Seite. Kaninchen, Gazellen, Pferde oder Rehe haben so einen Rundumblick und können sich nähernde Feinde schneller erkennen. Ein spezieller Fall ist die Eule: Sie kann sowohl räumlich gut sehen mit ihren nach vorn gerichteten Augen, kann aber auch noch den Kopf nach hinten drehen, was fast eine Rundumsicht ermöglicht. Und noch spezieller ist das Chamäleon: Es kann beide Augen unabhängig voneinander bewegen.

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Auf die Frage, warum wir hinten keine Augen haben, gibt es mehrere Antworten. Die erste: Wir besitzen weitere Sinne, die uns Gefahren von hinten anzeigen – wie das Gehör. Die zweite: "Als soziales Wesen, das in Gruppen lebt, war ein Rundumblick evolutionär weniger wichtig, da die Gruppe uns von hinten absichert", sagt Kaessmann. Und: "Ein drittes Auge wäre eine zu große Energieinvestition und würde ein noch komplexeres Gehirn erfordern als das menschliche, was sowieso schon viel Energie verbraucht", sagt er. "Die visuelle Verarbeitung der Reize schon eines Augenpaars ist hochkomplex und aufwendig." Augen sind für den Körper teuer im Betrieb. Außerdem sind sie verletzungsanfällig.

Aber ... könnte sich vielleicht in den nächsten Jahrmillionen bei uns ein drittes Auge am Hinterkopf entwickeln? "Nur wenn ein ganz klarer Vorteil für ein sehr großes Sichtfeld gegeben wäre, könnte ich mir das vorstellen", sagt der Biologe Lars Schmitz. "Aber das ist extrem unwahrscheinlich – nicht zuletzt wegen all der technischen Möglichkeiten, die jetzt schon unsere Sinnessysteme unterstützen und erweitern." Die Wahrheit ist: Der Mensch braucht die Evolution nicht mehr, die dauert vielen sowieso viel zu lange. Eher bauen wir uns in Zukunft selbst Apps und Implantate, um mit ihnen nach hinten zu schauen. Oder um Wärme sehen zu können wie die Klapperschlangen oder ultraviolettes Licht wie die Bienen. Oder im Dunkeln, wie Löwen.