Künstliche Intelligenz muss demokratischer werden!
Aljoscha Burchardt forscht am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und ist Co-Host des ARD-Podcasts "KI – und jetzt?"
Jochen Büttner forscht am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie und entwickelt dort auch KI-Anwendungen
Technologische Visionen verbinden oft die Kritik am gesellschaftlichen Istzustand mit einem Entwurf des technisch Machbaren. So speiste sich das Konzept des Internets einst aus der kalifornischen Hippie-Kultur: Dezentral, herrschaftsfrei und partizipativ sollte es sein. Jede und jeder sollte sich einbringen können, auf dass die Probleme der Menschheit wie an einem globalen Runden Tisch diskutiert und gelöst würden. Es kam anders. Doch auch wenn es aus heutiger Sicht naiv wirken kann, schien zur Hochzeit der relativ freien sozialen Medien die Vision nahe. Der Arabische Frühling führte die demokratisierenden Kräfte von Twitter, Facebook und Co. vor Augen.
Heute sind die Illusionen verblasst, haben sich die monopolistischen Plattformen kapitalgetrieben und unter dem Einfluss zweifelhafter Machthaber verändert. Und doch, aller Kommerzialisierung zum Trotz, hat das Netz seinen utopischen Kern bewahrt – zumindest als Möglichkeit.
Anders ist es bei der derzeitigen KI-Welle: Hier scheint die normative Kraft des Faktischen jegliche Vision im Keim zu ersticken. Die landläufige Einschätzung lautet, nur ein paar US-amerikanische oder chinesische Giganten ("Hyperscaler") könnten KI. Dieser pessimistischen Lesart sollten wir das Bild einer demokratisierten KI entgegenstellen, als Instrument gesellschaftlicher Teilhabe, als Werkzeug der Kreativität und natürlich auch der Wertschöpfung!
Internet und KI sind ja durchaus vergleichbar. Das Netz wirkt sich längst auf beinahe alle Bereiche des Lebens aus, die KI ist auf dem besten Weg dahin. Deshalb darf sich bei KI ein Fehler nicht wiederholen, die Logik des winner-takes-all. Im Internet konnten eine Suchmaschine, eine Videoplattform, ein Business-Netzwerk eine Quasi-Monopolstellung erlangen. Da KI-Systeme immer Färbungen enthalten, Werte widerspiegeln und je nach Design unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen, ist eine Vielfalt von Modellen und Architekturen dringend nötig. Andernfalls wird sich in neuen KI-Monopolen nicht nur die Technologieführerschaft zementieren, sondern auch Herrschaft über Wissen und Meinungen.
Elemente einer demokratischen KI-Vision existieren bereits und auch die Voraussetzungen dafür, sie umzusetzen. Graswurzelbewegungen, die häufig aus der Wissenschaft kommen, öffnen KI-Werkzeuge wie etwa auf der Plattform Hugging Face und gestalten sie so, dass Menschen mit geringen Ressourcen und Kenntnissen sie anwenden können. Ein Beispiel ist die Software Ollama, in der KI-Modelle unkompliziert auf dem heimischen Computer laufen. Solche Werkzeuge sind typischerweise Open-Source, das heißt, ihr Quellcode und ihre Trainingsdaten liegen offen. Die Modelle sind nicht so groß wie die der KI-Konzerne, aber in Kombination verschiedener Systeme genügen sie für viele Aufgaben völlig. Obendrein kommen sie oft mit weniger Daten aus und verbrauchen daher weniger Energie.
Diese Bewegung befähigt im Prinzip jeden Interessierten, KI und die damit verbundenen Prozesse mitzugestalten. Statt sich von den Hochglanz-Präsentationen der Giganten einlullen und lähmen zu lassen und passiv einer ökonomischen Verwertungslogik zu folgen, sollten Unternehmen, Bürger, Behörden und Politiker aktiv werden. Das würde die KI-Entwicklung in die Breite bringen und ein souveränes europäisches KI-Ökosystem speisen, zu dem selbstverständlich auch kommerzielle Anbieter gehören.
Die Vision einer KI-mündigen Gesellschaft könnte nicht nur Wirtschaft und Verwaltung ermutigen, eigene digitale Lösungen zu entwickeln. Sie könnte auch das noch offene Versprechen der Netz-Utopie einlösen, dass nämlich Technik ein Mittel der Selbstermächtigung und der Vermittlung sein kann. Dabei handelt es sich keineswegs um eine ferne Vision – alles Nötige ist bereits vorhanden, wir müssen auf nichts warten.