Goldgräber-Stimmung

Steine erzählen Geschichten. Aber Steine können nicht reden. Deshalb braucht es Menschen, die die Steinsprache verstehen. An einem Montag im Mai umringen drei Geologen und eine Geologin einen Findling in Finnland und versuchen herauszufinden, was er uns zu sagen hat. Sie hämmern auf ihn ein und hoffen, dass er eine Geschichte vom Gold erzählt.

Das Expeditionsteam ist vor einer Woche mit dem Flugzeug aus Deutschland angereist und hat in Oulu einen Kleinbus gemietet. Eine Doktorandin, ein Bachelorstudent, ein Postdoc, ein Professor. Sie tragen Cargohosen und Wanderstiefel. Geologenhammer am Gürtel, Lupe um den Hals, Kompass in der Tasche. Im Rucksack: Gesteinsproben. Sie haben den Bus an einem Feldweg geparkt und sind weitergelaufen bis zu einer einsamen Saunahütte. Dann querfeldein durchs Gestrüpp wie eine Jagdgesellschaft. Ein bisschen ist es ja auch eine Jagd, nur dass das Ziel nicht wegläuft.

Der Mann mit Ziegenbart und Pferdeschwanz ist der Professor, er heißt Jochen Kolb und ist Experte für Geochemie und Lagerstättenkunde am Karlsruher Institut für Technologie. Seine gesamte Karriere lang hat er Gold gesucht, inzwischen seit fast 30 Jahren, zehn Jahre davon als Geologe im dänischen Staatsdienst, zuständig für Grönland. Dort hat er 15 Goldvorkommen aufgespürt. Außerdem hat er rund um den Globus um die 50 Goldminen besucht und Gesteinsproben genommen, große Minen und kleine, legale und illegale, in Simbabwe, Namibia, Indien, Australien, Südafrika, an der Elfenbeinküste, in Indonesien und auf den Philippinen. Jochen Kolb ist der Goldpapst.

Während seiner Doktorarbeit war eine Feinunze Gold (rund 31 Gramm) 250 Euro wert, heute kostet sie mehr als das Zehnfache. Jochen Kolb hat davon nicht profitiert. Er besitzt mit Ausnahme seines Eherings kein einziges Gramm Gold. "Gold ist der nutzloseste Rohstoff der Welt", sagt er. Seiner wissenschaftlichen Begeisterung für das Element tut das keinen Abbruch.

Nur acht Prozent des weltweit abgebauten Goldes werden von der Industrie genutzt, etwa für Smartphone-Elektronik und Zahnkronen. 50 Prozent werden zu Schmuck verarbeitet, 42 Prozent zu Goldbarren und Münzen. Um ein Gramm Gold zu gewinnen, müssen Bergbaukonzerne bis zu tausend Kilo Erz zerkleinern, manchmal auch mehr. Die Energie, mit der man das Gold für Jochen Kolbs Ehering aus dem Berg geholt hat, würde ausreichen, einen Kühlschrank zehn Jahre lang laufen zu lassen. Für die 3.600 Tonnen Gold, die jährlich auf der Welt abgebaut werden, wird die Erzmenge eines mittleren Alpenbergs pulverisiert.

Der Mensch betreibt also einen Riesenaufwand, um einen Stoff aus der Erde zu holen, den er danach zum Großteil hinter Panzertüren und in Tresore schließt, damit niemand drankommt. Das ist bekloppt oder genial, je nachdem, wen man fragt.

In sieben Meter Tiefe entdeckt: ein Goldnugget. Ab einem Gramm pro Tonne Erz lohnt sich der Abbau. © Max Rauner

Wenn man Jochen Kolb fragt, sagt er: "So ein Goldkörnchen im Gestein, das hat eine gewisse Faszination. Aber warum die Menschheit so viel Geld in dieses Metall investiert, verstehe ich nicht." Einerseits hat er gesehen, wie Gold den Menschen Arbeit bringt. Gerade in armen Ländern. Andererseits zahlen Mensch und Umwelt mitunter einen hohen Preis dafür. In illegalen Goldminen nutzen die Arbeiter oft das schädliche Quecksilber, um Gold aus dem Gestein zu lösen. Ein Bergarbeiter, mit dem Kolb in Indonesien ins Gespräch kam, habe demonstrativ etwas Quecksilber heruntergeschluckt und gesagt: Schau mal, ich lebe noch.

Jochen Kolb ist Naturwissenschaftler. Er muss die Menschen nicht verstehen. Er ist schon froh, wenn er die Steine versteht.

Über dem Expeditionsteam kreisen Kraniche, am Waldrand zieht ein Rentier vorbei. Es ist eigentlich ganz idyllisch hier, wenn nur die Mücken nicht wären. Auch die Tatsache, dass das Team nun seit einer Woche noch kein Gold gesehen hat, trübt die Stimmung ein wenig. "Innerlich ist da eine ganz leise Hoffnung", sagt der Bachelorstudent Yannick Vogel, "aber ich rechne lieber nicht damit, dann ist man am Ende nicht enttäuscht."

Gold ist da, wo man es findet, lautet eine Faustregel. Das bedeutet: Trotz modernster geologischer Methoden wie Magnet- und Gravitationsfeldmessungen, Satellitenerkundung und Geochemie lässt sich Gold nicht so systematisch aufspüren wie etwa Kupfer. Gold ist ein Element der Überraschung.