"Nieder mit allem Hitler-Gesindel!"

Hätte sich Thomas Mann auf TikTok eingelassen? Abwegige Frage, aber ähnlich abwegig könnte es dem gefeierten Schriftsteller vorgekommen sein, als ihn 1940 die Anfrage der BBC erreicht, Texte fürs Radio zu schreiben – verlesen sollten sie nicht länger als fünf Minuten dauern. Fünf Minuten! Was für eine Herausforderung für den epischen Erzähler. Auch Manns politisches Werk ist weit ausholend, 600 Buchseiten füllen die Betrachtungen eines Unpolitischen aus dem Jahr 1918, immerhin noch sieben Druckseiten sein Essay Bruder Hitler von 1938. Nun also maximal zwei, drei Seiten.

Von 1940 bis 1945 geht Thomas Mann monatlich auf Sendung. Seine Ansprachen, Deutsche Hörer!, schickt die BBC über Langwellen von London aus nach Deutschland. Sie sind ein berührendes Dokument des Kampfs gegen den Faschismus. Und des Kampfes, den Thomas Mann mit sich selbst ausfechtet: "Ach, ich wollte, diese ganze hochpolitische Messe wäre vorüber", schreibt er 1943 an seine amerikanische Gönnerin Agnes E. Meyer. "Dann könnte man ungestört den Belustigungen des Gedankens nachgehen, statt heftige Meinungen formulieren zu müssen." Aber der Eindruck kann täuschen: Die Reden sind dem Schriftsteller eine Herzensangelegenheit.

Der Rundfunk beginnt in den Dreißigerjahren eine herausragende politische Rolle zu spielen. Auch das nationalsozialistische Regime lässt günstige Radio-Apparate bauen, "Volksempfänger", um die Deutschen per Funk auf Linie zu bringen. Hitler nutzt das neue Medium intensiv, allein im Jahr 1933 schickt er 50 Reden über den Äther. Großbritannien, wo 1922 die BBC gegründet wurde, hält nach Beginn des Krieges mit einem deutschsprachigen Programm dagegen.

Das Abhören eines solchen "Feindsenders" ist im Nazireich verboten, die Strafen reichen von Zuchthaus bis zu Hinrichtungen. Dennoch schätzt die BBC damals ihr deutsches Publikum auf bis zu drei Millionen Hörer. Die sollen überzeugt werden, dass Deutschland den Krieg verlieren werde und dies als Befreiung zu begrüßen sei. Demoralisierung ist ein weiteres Ziel und die Motivation "zu passivem und später auch aktivem Widerstand", wie es in einer Richtlinie der BBC von 1940 heißt.

Diese Absichten gelten auch für die Ansprachen von Thomas Mann. Höchstwahrscheinlich ist es seine Tochter Erika, die den Kontakt vermittelt. Sie produziert in den Vierzigerjahren von London aus deutschsprachige Sendungen. Mit ihrem Vater verspricht sich die BBC, einen besonders großen Einfluss auf die deutsche Bevölkerung nehmen zu können. Thomas Mann hat 1933 zwar seine Heimat verlassen, aber er steht seither für das andere, das bessere Deutschland: "Where I am, there is Germany", wie er selbst 1938 in Amerika recht frei von hanseatischem Understatement behauptet.

Die Anfrage der BBC bietet ihm Gelegenheit, "hinter dem Rücken der Nazi-Regierung", wie er es ausdrückt, mit seinen Landsleuten und Lesern Kontakt aufzunehmen. Anfangs schickt er seine Texte vom Exil in Kalifornien aus nach London, wo sie von einem Mitarbeiter der BBC auf Deutsch eingelesen werden. Bald wird es komplizierter: Damit Thomas Mann selbst zu hören ist, spricht er jede neue Rede nun in der Sendeanstalt NBC in Los Angeles auf eine Platte, die mit der Luftpost nach New York geht. Per Telefonaufnahme gelangt sie dann nach London und wird dort erneut auf einer Platte aufgenommen, die für die Sendung nach Deutschland vor einem Mikrofon abgespielt wird.

"Diesmal hört ihr meine eigene Stimme", verkündet Mann erstmals im März 1941. Er spricht mit der "Stimme eines Freundes", wie er sagt. Es sei "eine deutsche Stimme; die Stimme eines Deutschlands, das der Welt ein anderes Gesicht zeigte und wieder zeigen wird als die scheußliche Medusenmaske, die der Hitlerismus ihm aufgeprägt hat."

Diese Worte zeigen exemplarisch die Taktik der Ansprachen: Thomas Mann will einen Keil zwischen Regime und Bevölkerung treiben. Deutschland, glaubt er, oder will er glauben, werde das Nazijoch abschütteln. Sieht man einmal von dieser falschen Annahme ab, erstaunt beim Lesen und Hören, wie richtig der Schriftsteller mit nahezu allem anderen liegt, was er sagt.