Impfst du noch, oder keulst du schon?

Tierseuchen? Hatten wir doch im Griff! Die Maul- und Klauenseuche schien verschwunden, die BSE-Krise war bewältigt, die Klassische Schweinepest mit Impfprogrammen ausgemerzt. Aber jetzt sind gleich mehrere gefährliche Erreger nach Deutschland gekommen, darunter die Afrikanische Schweinepest und die Vogelgrippe. Zudem kehren alte Seuchen zurück: Anfang des Jahres brach in einer Wasserbüffelherde in Brandenburg die Maul- und Klauenseuche (MKS) aus, eine tödliche Krankheit für Rinder, Schafe und Schweine. Es war der erste Ausbruch seit 1988.

Nun sind alle alarmiert. Auch kleine Landwirte versuchen, ihre Rinder, Schweine und Masthähnchen abzuschirmen. Tierärzte haben Impfkampagnen angestoßen, Veterinäre pochen auf Maßnahmen zur Biosicherheit. Jäger ziehen Proben von Wildvögeln. Gerade das parallele Auftreten von drei besonders gefährlichen Seuchen setze Behörden und Landwirte unter Druck, sagt Christa Kühn, die Präsidentin des Friedrich-Loeffler-Instituts, des Bundesforschungsinstituts zum Thema Tierseuchen. Wie kann Deutschland sich schützen?

Ein sonniger Morgen im April auf dem Geflügelhof von Björn Pöhlsen in der Nähe von Bad Oldesloe. Die Veterinärin Lydia Mohr ist zur Salmonellen-Kontrolle gekommen. Es ist eine Routineuntersuchung, aber Routine heißt nicht Nachlässigkeit. Sonst schleppt man womöglich Krankheitserreger ein, an Stiefeln, Kleidern oder Händen. Salmonellen etwa. Oder gar die Vogelgrippe, dann wären Pöhlsens 1.100  Hennen binnen einer Woche tot.

Lydia Mohr hat deshalb ihre Schuhe außerhalb des Grundstücks gegen frische Gummistiefel getauscht. In einem betongrauen Vorraum von Pöhlsens Stall wäscht und desinfiziert sie sich die Hände und zieht sich einen grünen Einmal-Overall über. Der Raum nennt sich "Hygieneschleuse", und diese wird auch bei kleinen Betrieben immer wichtiger. Pöhlsen hat ihn vor einem Jahr auf Drängen der Veterinärin eingerichtet. Im Seuchenfall kann er den Unterschied machen zwischen 1.100 gesunden und 1.100 toten Hühnern.

Im schummrigen Licht spaziert Lydia Mohr durch den Stall. Sie sammelt Kotproben, die sie ins Labor schicken wird. Sie nimmt aber auch die Hühner sowie den Stall in Augenschein – und entdeckt tatsächlich eine Lücke im Sicherheitskonzept. Ein Lüftungsloch im Dach des Hühnerstalls hat keine Haube. Dabei droht auch aus der Luft Gefahr: Kranke Wildvögel könnten verseuchten Kot in den Stall abwerfen. Es ist ein kleines Loch, verglichen mit der Wiese vor dem Stall, auf der Pöhlsens Hühner frische Luft schnappen dürfen. Aber jede Gefahr, die sich vermeiden lässt, soll hier vermieden werden. Denn wenn es um die Vogelgrippe geht, können auch kleine Löcher große Folgen haben.

Die Krankheit wütet spätestens seit 2021 in Deutschland. In ihrer hochpathogenen Form ist sie auch als Geflügelpest bekannt. Ihr natürlicher Wirt sind wilde Wasservögel, für Hausgeflügel ist das Virus sehr gefährlich. Allein im März wurden in Franken 30.000 Puten und in Wittenberg fast 30.000 Hühner wegen der Vogelgrippe geschlachtet. In den USA wurden seit 2022 sogar 160 Millionen Tiere getötet. Eier wurden dort knapp, teuer und zum Politikum.

Das Virus ist aber nicht nur für Vögel gefährlich. Ende März wurde es erstmals in Europa bei einem Wiederkäuer nachgewiesen, bei einem Schaf in Yorkshire. In den USA wurde es bei Milchkühen und Hauskatzen entdeckt. Und gerade scheint sich eine weitere Befürchtung zu bestätigen: Das Vogelgrippe-Virus kann auch Menschen gefährlich werden. In Mexiko ist ein dreijähriges Mädchen nach einer Vogelgrippe-Infektion verstorben. Da bekommt das Luftloch in Pöhlsens Hühnerstall plötzlich eine besondere Bedeutung. Der Geflügelbauer gelobt, dass er es sofort dicht machen wird.

Dass heute Veterinäre und Bauern selbst kleinste Sicherheitslücken so ernst nehmen, hat auch mit dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche unter den Wasserbüffeln in Brandenburg zu tun. "Da gingen alle Alarme an", erinnert sich Christa Kühn. Damals im Januar erreichte die Chefin des Friedrich-Loeffler-Instituts der Seuchenverdacht per Telefon. Bitte dringend zurückrufen, schrieb ihr Vizepräsident. Sofort wurden die Wissenschaftler aktiv. Im Schneesturm wurde das Probengefäß über die Autobahn ins Labor des Friedrich-Loeffler-Instituts gebracht, gleichzeitig machte sich das epidemiologische Team des Instituts bereit, um die Behörden vor Ort zu unterstützen.