Sorry, dass wir Sie mit Corona behelligt haben

​​Besonders zu Beginn der Coronapandemie gab es schwachsinnige Regeln in Hülle und Fülle. Sitzverbote auf Parkbänken, Maskenpflichten für Jogger, in einem Bundesland waren Restaurants geschlossen, im anderen noch offen. Zunächst war das skurril, später ging es für viele an die Existenz, ans Leben, die Familie.

Während der Pandemie habe es Herausforderungen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben, schreibt die Union in einem Antrag, den sie am Mittwoch in den Bundestag einbringt. Der Antrag setzt eine Enquete-Kommission zur "Aufarbeitung der Coronapandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse" ein: 14 Bundestagsabgeordnete aller Parteien und weitere Experten wollen zwei Jahre arbeiten. Sie sollen sichten, was diverse Pandemiekommissionen der Bundesländer bisher gemacht haben, Krisenmanagement und parlamentarische Kontrollen prüfen, Kompetenzen hinterfragen, Deutschland international vergleichen und insbesondere prüfen, ob Kinder und Jugendliche zu sehr unter den Maßnahmen gelitten haben.

Es soll also die große Pandemie-Aufarbeitung werden, auf die sich die Ampel unter Olaf Scholz nicht einigen konnte. Am Ende soll Deutschland besser Krise können. Und gesellschaftlich heilen, so drückt es die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Dagmar Schmidt, aus. Gute Absichten also.

Doch das Problem, das diese Kommission haben wird, deutet sich schon in der Analogie zwischen Pandemie und Zweiter Weltkrieg an: Da wird zu viel aufgebläht und erwartet. Wer aufgrund der Pandemie psychisch heilen muss, benötigt einen Therapieplatz, keine Kommission. Wer in der Schule zurückgeblieben ist, braucht Förderung, keinen Bundestagsbericht. Pandemiebewältigung muss man machen, jetzt. Nicht beschreiben.

Vor allem aber kann eine Enquete-Kommission kein Lehrbuch für die nächste Pandemie oder Superkrise erstellen. Weil sie ganz anders sein wird. Im Fall einer Pandemie, je nach Erreger, seiner Ansteckungswege und seiner Gefährlichkeit, werden ganz andere Parameter die Aushandlung der zentralen Frage bestimmen: Wie stark darf der Staat die Freiheit aller einschränken, um Krankheit und Tod einiger durch das Virus zu verhindern? Freiheit versus Infektionsschutz, ein ständiges Austarieren bei permanent unsicherem Wissen.

Fairerweise muss man sagen: Der Zwiespalt ist Union und auch SPD, die der Enquete-Kommission zustimmen wird, bewusst. Zumindest steht im Antrag, man wolle sich vom Gedanken leiten lassen, dass Maßnahmen immer vor dem Hintergrund des Informationsstandes der jeweiligen Zeit bewertet werden müssten.

Was selbstverständlich ist. Die Wissenschaft produzierte während der Pandemie nur allmählich wirklich hartes Wissen. Labortests zeigten beispielsweise, dass FFP2-Masken Coronavirus-Partikel effektiv aufhalten. Die Zulassungsstudien der mRNA-Impfstoffe zeigten, wie gut diese bis zu drei Monaten nach einer Impfung gegen den Wildtyp des Virus schützen. Labore prüften, wie gut bestimmte Schnelltests bei perfekt durchgeführtem Rachenabstrich eine Infektion erkennen.

Abgesehen davon war das Konfidenzintervall gewaltig, sprich: Das Wissen war ungenau, vor allem wenn es in die Praxis ging. Was bringt eine Maskenpflicht, wenn die Leute die Dinger nur noch widerwillig tragen und in ihre Gesäßtasche stopfen? Was bringen die Schnelltests, wenn ein Friseur oder Kneipenwirt ein Testzentrum eröffnet und mal kurz mit einem Wattestäbchen durch die Nase huft?

Oder in Schulen: Wie stark sinkt denn nun die Inzidenz bei Wechselunterricht, bei Distanzunterricht, bei Maskenpflicht während der Stunde, aber nicht in der Pause? Und rechtfertigt das, Bildungsmängel bei einer ganzen Generation zu riskieren? Was bringt 2G im Vergleich zu 3G?  

Natürlich hatten alle Maßnahmen eine Ratio als Grundlage – wenn jemand Coronaviren in die U-Bahn niest, mal besser Maske tragen. Aber die Formel, die gesellschaftliche Kosten und infektiologischen Nutzen einzelner Maßnahmen auch nur einigermaßen exakt gegenüberstellt, die gab es nie und die wird es nie geben. Niemand wird ermitteln können, wie viele Infektionen die Isolationspflicht verhinderte.  

Forschung zu all den bisher angerissenen Fragen gibt es, aber oft immer noch mit unklaren Ergebnissen. Deutschland hat während der Pandemie genau wegen der vielen Unsicherheiten stark auf Prävention gesetzt. Also besser zu viel Schutz als zu wenig, bei oft ungenügender Datenlage. 

Man kann jetzt auf der grünen Wiese überlegen, ob bei ähnlichen Krisen oder einer Pandemie mehr Freiwilligkeit und weniger staatliche Intervention besser wäre. Aber was bringt das, wenn man nicht weiß, was für eine Krise das genau sein wird? 

Was die Kommission erreichen könnte: Mechanismen entwickeln, die sicherstellen, dass während Krisen nicht erst mal nur eine Gruppe von Experten – Virologen etwa – die Politik berät und andere – Psychologen, Soziologen, Lehrer – sich mühsam Gehör verschaffen müssen. Die Kommission kann staatliche Strukturen sortieren und dafür sorgen, dass Entscheidungswege und Kompetenzverteilung klar sind und Schäden durch Maßnahmen viel früher erfasst und mitberücksichtigt werden. Es braucht ein von Weisungen aus dem Gesundheitsministerium unabhängiges Robert Koch-Institut. Es braucht ein digitales Gesundheitssystem, um Impfungen und Infektionen korrekt in Echtzeit zu erfassen und nicht erst, wenn jemand am Montag das Fax schickt. Es braucht Vorräte und Produktionskapazitäten an überlebensnotwendigen Medikamenten und Ausrüstungen. 

Was niemand braucht: ein mea culpa, ein Bundestag, der sich dafür entschuldigt, das Land mit einer Pandemie behelligt zu haben. Wichtig wären konkrete, strukturelle Verbesserungen, die Deutschland dazu befähigen, in der nächsten Krise besser zu improvisieren, Fehler früher zu erkennen und zu korrigieren. Vieles dafür ließe sich schon heute anstoßen, dafür braucht es eigentlich keine Enquete-Kommission, die erst mal zwei Jahre Berichte erfasst. Die Aufgabe der Mitglieder ist deshalb: Als Pandemie-Aufklärer ab sofort Mandat und Aufmerksamkeit dafür nutzen, das Land krisenfester zu machen.