WHO zeigt sich "extrem besorgt" über wachsende Impfskepsis
Impfskepsis und weniger Entwicklungshilfe für Impfkampagnen sind nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine große Gefahr für die Gesundheit der Weltbevölkerung. "Wir sind extrem besorgt über Fehl- und Desinformation zu Impfungen", sagte Kate O'Brien, Direktorin der Impfabteilung der Organisation, bei der Vorlage des jährlichen Berichts über die weltweiten Impfraten von WHO und dem UN-Kinderhilfswerk Unicef. Den Rückgang der Hilfsgelder nannte sie "extrem problematisch".
Das weitaus größte Hindernis für umfassenden Impfschutz bei Kindern seien Konflikte sowie die Schwierigkeit, Kinder in sehr abgelegenen Regionen zu erreichen. Im vergangenen Jahr hätten 20 Millionen Kinder im ersten Lebensjahr weniger als die drei notwendigen Impfdosen gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten erhalten, heißt es in dem Bericht – 14,3 Millionen keine einzige. Im Jahr zuvor betrug diese Zahl 14,4 Millionen. Verglichen mit 2019 stieg diese Zahl jedoch um 1,9 Millionen.
In 131 von 195 Ländern erhielten demnach mindestens 90 Prozent der Kinder die erste DTP-Dosis. Dennoch stagniert der globale Fortschritt: Nur 17 Länder konnten ihre Impfraten seit 2019 erhöhen, in 47 Ländern blieb die Quote gleich oder sank sogar.
Mittel für Impfkampagnen fehlen
Schon im vergangenen Jahr hätten Mittel gefehlt, um arme Länder mit Impfkampagnen zu unterstützen. Die teils drastischen Kürzungen von Entwicklungshilfe in diesem Jahr – durch die USA und viele andere Länder – dürfte verheerende Auswirkungen haben, beklagen WHO und Unicef.
Auf die Haltung des als Impfskeptiker angesehenen US-Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. gingen die Expertinnen und Experten nicht direkt ein. Sie verwiesen aber auf die wichtige Rolle von Politikern sowie religiösen oder anderen Leitfiguren, um das Vertrauen in seit Jahrzehnten überwachte und geprüfte Impfstoffe zu stärken, nicht zu schwächen. "In gut 50 Jahren sind 150 Millionen Menschenleben durch Impfstoffe gerettet worden", sagte Unicef-Impfexperte Ephrem Lemango. Er rief alle Minister auf, deutlich zu machen, dass "Killerkrankheiten" wie Masern durch Impfungen verhindert werden können.
Impfraten unter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit
Das WHO-Regionalbüro Europa und Unicef warnen, dass Nachlässigkeiten beim Impfen die kindliche Gesundheit gefährdeten und eine weitere Ausbreitung etwa von Masern und Keuchhusten begünstigten. Die Impfraten gegen solche Krankheiten seien in der Region mit 53 Ländern bis nach Zentralasien 2024 leicht rückläufig gewesen und unter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit geblieben. Es gebe deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern.
Weltweit stieg die Abdeckung mit einer zweiten Masernimpfdosis dagegen leicht auf 76 Prozent. 30 Millionen Kinder weltweit seien allerdings nicht ausreichend gegen die gefährliche Krankheit geschützt. Die Impfrate müsste in jeder Region und jedem Land bei mindestens 95 Prozent liegen, um Ausbrüche zu verhindern, teilte die WHO mit. 2024 erlebten 60 Länder starke Ausbrüche. Das sind mehr als doppelt so viele wie 2022. In manchen Ländern seien Ausbrüche auf verbreitete Impfskepsis zurückzuführen, sagte O'Brien. Wie viele Todesfälle das verursache, sei schwer zu schätzen. 2023 habe es weltweit nach Schätzungen mehr als 107.000 Tote durch Masern gegeben.
"Impfungen retten Leben, und wenn die Abdeckung sinkt, breiten sich Krankheiten aus", sagte Hans Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. Allein im vergangenen Jahr seien fast 300.000 Menschen in Europa an Keuchhusten erkrankt sowie mehr als 125.000 an Masern, was einer Verdreifachung beziehungsweise Verdopplung der Werte des Vorjahres entspreche. Er rief die Länder auf, ihre lokalen Gesundheitssysteme zu stärken, die Verfügbarkeit von Impfstoffen überall sicherzustellen sowie Fehlinformationen zu bekämpfen.
Weltweit sind die Impfraten nach dem Bericht 2024 leicht gestiegen, teilte die WHO mit. Rund 85 Prozent der Säuglinge hätten drei Dosen der Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten (DTP) bekommen. Im Jahr davor seien es marginal weniger gewesen. Die DTP-Impfung gilt als wichtiger Indikator für die weltweite Durchimpfung. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) für Kinder unter anderem auch Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Tetanus, Windpocken und humane Papillomaviren (HPV).
Die HPV-Impfung, die Gebärmutterhalskrebs vorbeugt, sei weltweit eine Erfolgsgeschichte, sagte O'Brien. Der Anteil junger Mädchen, die die Impfung erhielten, sei weltweit um vier Prozentpunkte auf 31 Prozent gestiegen. Der Erfolg gehe vor allem darauf zurück, dass Nigeria und Bangladesch den Schutz vor HPV in ihre Routineimpfungen aufgenommen haben. 2019 hatten erst 17 Prozent der Teenager die Impfung bekommen. Ziel bis 2030 ist es, 90 Prozent zu erreichen.