"Er hatte Verbindungen zu Kriminellen, Neonazis, Hooligans"

An diesem Sonntag entscheiden die Polen in einer Stichwahl über ihren nächsten Präsidenten. Gegen den PiS-Kandidaten Karol Nawrocki tritt der eigentlich progressive Rafał Trzaskowski an, der im Wahlkampf aber selbst mit nationalkonservativer Rhetorik aufgefallen ist. Warum ist die politische Debatte in Polen so weit nach rechts gerückt? Das erklärt der Historiker Paweł Machcewicz, einer der bekanntesten Historiker und Politikwissenschaftler des Landes und ein früherer Berater des Ministerpräsidenten Donald Tusk.

Herr Machcewicz, Sie kennen einen der Stichwahlkandidaten für die Präsidentschaft, Karol Nawrocki, recht gut. Sie waren Gründungsdirektor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Mithilfe der PiS ersetzte Nawrocki Sie 2017 an der Spitze des Museums. Wie lief das damals ab?

Paweł Machcewicz: Es war ziemlich dramatisch. Über ein Jahr lang wurde ich von der Regierung öffentlich schikaniert. Der Vorsitzende der PiS, Jarosław Kaczyński, gab ein Fernsehinterview, in dem er sagte, das Museum des Zweiten Weltkriegs sei kein polnisches, sondern ein deutsches Museum. Ein Geschenk Donald Tusks an Angela Merkel als Zeichen polnischer Unterwürfigkeit. Karol Nawrocki unterstützte diese Rhetorik. Die PiS wollte das Museum schließen, nachdem es mir gelungen war, es endlich zu öffnen. Es gab einen langen Rechtsstreit. Zwei Wochen nach der Eröffnung fällte das Oberste Verwaltungsgericht ein Urteil, das für mich eine politische Entscheidung war: der Kulturminister konnte das bestehende Museum auflösen. Am nächsten Tag gründete der Minister das neue Museum des Zweiten Weltkriegs. Kurz nach einer Pressekonferenz betrat Karol Nawrocki plötzlich mein Büro. Er kam in Begleitung eines Beamten des Kulturministeriums. Sie sagten, ich sei nicht mehr der Direktor, Nawrocki sei jetzt im Amt. Gleich am ersten Tag kündigte er an, die Ausstellung entsprechend der PiS-Kritik zu verändern.

Paweł Mateusz Machcewicz, 59, ist Historiker und habilitierte in Politischer Theorie. Er lehrte am Collegium Civitas in Warschau, der Nikolaus-Kopernikus-Universität zu Toruń und der Universität Warschau. Zwischen 2008 und 2014 war er Berater des polnischen Premiers Donald Tusk. © Wojtek Radwanski/​AFP/​Getty Images

Wie haben Sie Nawrocki erlebt?

Machcewicz: Er agierte von Anfang an als gehorsamer Soldat der Partei, ihr verdankt er seine gesamte Karriere. Nawrocki ging gegen Elemente in der Ausstellung vor, die er für nicht polnisch genug hielt und fügte Elemente hinzu, die die Geschichtspolitik der PiS widerspiegelten. Beispielsweise eine Installation, die suggerierte, dass fast alle Polen im Zweiten Weltkrieg Juden gerettet hätten. Und er erklärte öffentlich, er sei stolz darauf, 60 Mitarbeiter des Museums entlassen und durch Menschen mit seinen Ansichten ersetzt zu haben. Mit den Entlassungen verstieß er gegen Gesetze, das wurde von Arbeitsgerichten nachgewiesen.

Nawrocki war früher Boxer und hatte angeblich Verbindungen zur Unterwelt. Ist das nicht ein etwas zu bunter Werdegang, um das höchste Staatsamt anzustreben?

Machcewicz: Nun, das sind keine Behauptungen, das ist belegt: Er arbeitete in Nachtklubs, hatte Verbindungen zu Kriminellen, Neonazis und Fußball-Hooligans. Gerade hat er zugegeben, bei verabredeten Schlägereien dabei gewesen zu sein. So etwas ist illegal. Anonyme Quellen erklären, dass er Teil eines Zuhälternetzwerks gewesen sei, er habe Prostituierte zu Kunden gebracht. Die PR-Leute der PiS machen daraus das genaue Gegenteil von Trzaskowski, der ja jetzt sein Gegenkandidat der liberalen Bürgerkoalition ist. Nawrocki sei ein ehrlicher Kerl mit echtem Leben. Und Boxer würden nun mal nicht nur gegen Gentlemen kämpfen, sondern auch rauen Menschen begegnen.

Es ist für junge Menschen kaum möglich, sich eine Wohnung zu leisten.
Paweł Machcewicz

Im Wahlkampf wurde ihm mehr vorgeworfen, als nur zwielichtigen Typen begegnet zu sein.

Machcewicz: Zwei Wochen vor der Wahl kam noch etwas ans Licht. Nawrocki hat sich von einem Rentner in Danzig die Wohnung überschreiben lassen, wohl ohne Gegenleistung. Das hätte sein politisches Todesurteil sein können: Ein Präsidentschaftskandidat betrügt einen Rentner. Nur zeigte sich, dass das die PiS-Wählerschaft gar nicht interessiert. Und die Partei stellte die Geschichte als Operation dar, die von Donald Tusk mit einer Spezialeinheit betrieben würde.

Der Kandidat der liberalen Bürgerkoalition, Rafał Trzaskowski, hat die erste Runde der polnischen Präsidentschaftswahlen mit einem Vorsprung von weniger als zwei Prozentpunkten gewonnen. Wie blicken Sie auf den zweiten Wahlgang? 

Paweł Machcewicz: Es scheint, als sei die politische Rechte in Meinungsumfragen leicht unterschätzt worden. Und Trzaskowski wurde leicht überschätzt. Die Unterschiede sind nicht groß, ein bis zwei Prozentpunkte. Das zeigt, wie gespalten die Gesellschaft ist: Wir haben eine eher liberale, proeuropäische Hälfte und eine populistische, nationalistische, antieuropäische oder mindestens euroskeptische Hälfte. Als 2023 die Regierung der PiS-Partei abgewählt wurde, gewann die Bürgerplattform unter Führung von Donald Tusk knapp. Jetzt haben Parteien rechts der Mitte wieder dazugewonnen.

Rafał Trzaskowski machte Wahlkampf mit einer Art von Wirtschaftspatriotismus. Er lehnte EU-Handelsabkommen ab, kritisierte Deutschland, lobte polnische Äpfel. Das war überraschend viel nationalkonservative Rhetorik aus dem Mund eines liberalen Politikers. War das Strategie?