Alles seit Kindertagen eingeübt

Eine Frau rennt einen Berg hinauf. Sie ist getrieben, sie hat Angst: "Seitdem ich da kurz stehen geblieben bin, zum Innehalten, zum Atmen, zum Kurz-den-Mond-Anschauen, seitdem hab ich das Gefühl, hinter mir ist wer. Einer, der mir nach ist und mich verfolgt. Ich weiß auch, wer, natürlich weiß ich es, sonst hätte ich ja nicht so Angst. Dabei ist es unmöglich, es kann nicht sein, er kann nicht im selben Zug gewesen sein (…)".

Mit diesen Sätzen beginnt Wild wuchern, der zweite Roman der 1984 geborenen österreichischen Autorin und Theaterregisseurin Katharina Köller. Es sind Sätze, die direkt hineinführen in die Situation der Ich-Erzählerin Marie, die hier zwar noch vage bleibt, doch zugleich wissen wir schon Wesentliches, nämlich dass sie auf der Flucht ist, vor einem Mann offenbar. Wer genau "er" ist, warum er ihr eigentlich nicht auf den Fersen sein kann, bleibt offen. So gelingt es der Autorin, sofort Spannung zu erzeugen, die Lesenden in den Text hineinzuziehen.

Dazu trägt auch die Sprache bei, ist ihr doch die Atemlosigkeit der Erzählerin eigen. Schnell folgen die Sätze aufeinander, kurz, manchmal sind es nur einzelne Wörter, wie abgehackt: "Ich muss weiter. Wenn ich stehen bleib, holt es mich ein. Also weiter. Schnell. Bergauf. Immer weiter bergauf." Es ist eine oft ans Gesprochene angelehnte Sprache, deren Worte doch genau gesetzt sind, die eine sinnliche Unmittelbarkeit ausstrahlt. Das Stolpern Maries, die sie streifenden Zweige: Man ist der Erzählerin dabei sehr nah.

In ihrer Verzweiflung treibt es Marie weg aus Wien, hin zu ihrer Cousine Johanna, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat und die seit ebenso langer Zeit allein auf einer entlegenen Tiroler Alm lebt. Ihre Mütter zwangen den beiden als Kinder und Teenagerinnen eine nicht gewollte Nähe auf, setzten sie in eine quälende Konkurrenz zueinander. Ihre grundlegende Verschiedenheit deutet sich früh in eingestreuten Erinnerungen Maries an.

Jedenfalls gibt es wenig Sympathien füreinander, und die erste nächtliche Begegnung in der Berghütte gestaltet Köller so spannungsreich wie kurios. Marie erschrickt, als das, was sie im Dunkeln für einen Kleiderständer hält, "sich langsam in meine Richtung dreht und 'Marie' sagt. Mehr nicht". Und sie fragt sich: "Wieso kann die ohne zu atmen irgendwo rumstehen, als wär sie ein Tier auf der Lauer und kein überraschter Mensch, der nach Langem die Cousine wiedersieht?"

Hier prallen die Städterin und die schon immer sehr der Natur und den Tieren Zugewandte aufeinander. Die Getriebene, die auch sprachlich überquillt, und die in sich Ruhende, Schweigsame. Doch was Köller aus diesen Kontrasten heraus entwickelt, ist eine langsame, sehr stockende Bewegung der Annäherung.

Der Roman bleibt ganz bei der Perspektive Maries. Erinnernde Rückblenden in ihre jüngere Vergangenheit offenbaren bruchstückhaft eine psychisch und körperlich gewaltvolle Beziehung mit ihrem Mann Peter. Szenen seiner verbalen Aggressionen und willkürlichen, brutalen Gewaltausbrüche schildert Marie immer wieder.