Die Surrealistenwelle kommt wieder ins Rollen
Ein saftig grüner Kohlkopf auf dürren Hühnerbeinen? Surrealismus pur und ganz nach dem Geschmack von Pauline Karpidas. Die Sammlerin schwelgt in solch fantastischen Kreationen. Im Jahre 2003 beauftragte sie Claude Lalanne mit dieser „Unique Choupatte“ in patiniertem Kupfer. Die französische Designerin und Bildhauerin (1925–2019) hatte mit diversen Versionen dieser animalisch-vegetabilen Zwitter bereits großen Erfolg verzeichnet, der Kohlkopf gehörte zu ihren populärsten Werken.
Ihr Mann François-Xavier Lalanne – berühmt für seine Schaf-Skulpturen –, mit dem sie oft kooperierte, bemerkte einmal: „Das Kohlblatt hat für Claude die gleiche Bedeutung wie das Akanthusblatt für die klassische griechische Kunst.“
Dieser Kohlkopf mit seinen 32,5 mal 36 mal 32,5 Zentimetern Größe spaziert jetzt aus der Londoner Karpidas-Wohnung am Hyde Park hinüber zum Auktionshaus Sotheby’s in der New Bond Street, wo er zusammen mit rund 250 Gemälden, Möbeln und Objekten am 17. und 18. September 2025 aufgerufen wird. In der Abendauktion ist „Unique Choupatte“ auf 300.000 bis 500.000 Pfund geschätzt.
Sotheby’s hofft zudem auf einen neuen Rekord bei der Versteigerung: Mit über 60 Millionen Pfund insgesamt bewertet man diese Sammlung als „eines der wichtigsten surrealistischen Angebote seit Langem“. Tatsächlich ist es die höchste Schätzung des Auktionshauses für eine europäische Einzelsammlung. Ob das Resultat auch rekordträchtig ist, wird mit Spannung erwartet.
Die Britin Pauline Karpidas, vor 81 Jahren in Manchester geboren und in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, eröffnete in den 1960er-Jahren eine Modeboutique in Athen. Hier lernte sie ihren Mann, den Schifffahrtsmagnaten Constantinos Karpidas, kennen. Er, der 2005 starb, engagierte sich für die Kunst des 19. Jahrhunderts und den Impressionismus. Doch die Passion seiner Frau für surrealistische Kunst und das Zeitgenössische entzündete erst ihr Treffen mit dem griechisch-amerikanischen Kunsthändler Alexander Iolas. Er begleitete Pauline Karpidas jahrelang bei der Formierung ihrer Sammlung. Die sollte, so Karpidas, „außerordentlich“ werden – das lockte den flamboyanten Surrealisten-Kenner Iolas aus seinem Ruhestand.
Auf der griechischen Insel Hydra füllte sie ihre Villa hoch über dem Meer vor allem mit zeitgenössischen Werken. In ihren „Workshops“ trafen sich Künstler wie Damien Hirst, Tracey Emin oder Georg Baselitz. Im Oktober 2023 versteigerte Sotheby’s in Paris bereits den Inhalt dieses Refugiums für 35,5 Millionen Euro und übertraf damit das Doppelte der Schätzung. Dazu gehörte auch Karpidas’ zweiter, weitaus größerer Kohlkopf aus der Hand Claude Lalannes, ein 135 Zentimeter hoher „Très Grand Choupatte“ aus Bronze, den die Hausherrin als skurrilen Wächter neben den Eingang zu ihrer Villa platziert hatte. Mit knapp fünf Millionen Euro kletterte er weit über die Schätzung von einer bis eineinhalb Millionen zu einem Höchstpreis für diesen Hybriden.
Bei der kommenden Versteigerung des Inventars von Karpidas’ Londoner Zuhause kommen nicht weniger als 60 Werke von Claude und François-Xavier Lalanne zum Aufruf: vegetabil geschmückte Spiegel und Tische, eine mit Tigerfellmuster bezogene Bronzecouch, auf deren Zweigen eine Eule wacht (200.000–300.000 Pfund). Als Modell für möglichst überzeugende Krokodil-Stühle wurde ein lebendes Exemplar aus dem Zoo geholt (180.000–250.000 Pfund). Die Lalanne-Preise zogen in den vergangenen Jahren kräftig an, trotz oder wegen eines großen Angebots aus dem eigenen Fundus des Künstlerpaars. Wie wird der Markt nun auf diese umfangreiche Offerte reagieren?
Ihren Ruf als „europäische Peggy Guggenheim“ erwarb Pauline Karpidas vor allem dank ihres Kaufeinsatzes bei den großen Namen des Surrealismus. Allen voran René Magritte, unter dessen elf Gemälden in der Auktion seine „Fliegende Statue“ von 1958 mit neun bis zwölf Millionen Pfund am höchsten bewertet ist. Auf der Surrealistenwelle des Jubiläums im vergangenen Jahr schwimmend, hofft man auf Erfolg auch bei Yves Tanguy, Max Ernst, Dorothea Tanning, Leonora Carrington oder Salvador Dalí. Dessen schön linierte Zeichnung seiner Frau Gala soll zu einem Zuschlag bei 350.000 bis 450.000 Pfund animieren. Mit Andy Warhol war Pauline Karpidas befreundet, Werke von ihm sind ebenso präsent in der Sammlung wie Bilder von Picasso oder eine Pudelskulptur von Jeff Koons.
Das Finale ist die Auktion übrigens nicht. In New York will Pauline Karpidas „weiterhin von Kunst umgeben leben, neue Werke sammeln und Künstler unterstützen“.