Warum selbst Ungläubige die Papstwahl kratzt

Wie kann das eigentlich sein: Seit Jahren treten mehr und mehr Menschen aus der römisch-katholischen Kirche aus – nicht aus dem säkularen Triumph der Aufklärung heraus, sondern, weil für sie der Glaube diffus wird. Oder er kommt ihnen ganz abhanden. Oder sie wollen sich nicht an eine Institution binden, die Missbrauchstäter gedeckt hat, in der Abtreibung als schwere Sünde gilt und die Frauen von sakralen Ämtern ausschließt. Und trotzdem: Sobald Rom den Bombast auspackt, gucken doch wieder alle hin. Mit großen Augen. Ach, wie süß der Alte winkt! Ach, wie schön, die roten Roben!  

Im Angesicht der Pracht des Petersdoms werden selbst Atheisten weich, die sonst zu Recht mokieren, dass der Staat den Kirchen ihre Beiträge noch immer als Steuer einsammelt. Als wäre der Vatikan nicht die Keimzelle der Institution, sondern nur ihre skurrile, aber herzensliebe Patentante. Vor allem, wenn das aus der Zeit gefallene Konklave zusammentritt, wenn also an der Spitze der autoritär geführten Institution die christliche Geschichte von der Auferstehung als archaisch-demokratisches Ritual noch einmal realpolitisch neu inszeniert wird, dann entwickelt die Kirche sogar in Deutschland eine Faszination renaissancehafter Ausprägung. Fast so, wie es zur Fußball-WM regelmäßig achtzig Millionen Bundestrainer gibt, gibt es zum römischen Konklave plötzlich ein paar Millionen wahlberechtigter Kardinäle. Und dieses Jahr vielleicht sogar noch einmal mehr. Warum – zum Teufel – ist das so?

Das Konklave war in diesem Jahr schon in aller Munde, noch ehe der Papst gestorben ist. Dabei hat Franziskus die merkwürdig faszinierte Atmosphäre sicher nicht selbst ausgelöst. Anders als sein Vorvorgänger Johannes Paul II. mit seiner über Jahre immer präsenter werdenden Parkinson-Erkrankung und der am Ende zum Krächzen reduzierter Stimme, war Bergoglio in seinen letzten Wochen kein Papst des mystischen Leidens, der den Tod als existenziellen Teil des Menschlichen spektakulär performen konnte, sondern in seinem Sterben durchschnittlich menschlich. Das Drama kommt also diesmal nicht aus bewegenden Bildern des Endes, sondern wird von außen an die Kirche herangetragen.

Ein Hinweis darauf, dass das Konklave diesmal eine gewisse Sehnsucht auslöst: Im letzten halben Jahr hat sich schon der oscarprämierte Film Konklave von Edward Berger als globaler Erfolg erwiesen und macht nun noch einmal mehr Menschen außerhalb gläubiger Kreise neugierig auf das echte Ereignis. Wobei ja allen klar ist, dass das Konklave ab dem ikonischen Rausschmiss "Extra omnes", das genau wie die Phrase "Habemus papam" und der weiße Rauch nicht weniger zum kollektiven popkulturellen Bezugssystem gehört als Oops! … I did it again und "Ich bin ein Berliner", für alle außer den wahlberechtigten Kardinälen nur aus Warten besteht.

Gesetzt den Fall, das Konklave wird laufen, wie man sich Konklave vorstellt. Also so, wie der irre bildstarke Katholizismus des 19. Jahrhunderts es sich als ewig gültig vorgestellt hat, als perfekte Mischung aus Ritus und Spektakel, Kitsch, Pomp, Magie und Camp, alles unter den Augen der bonbonfarbenen Propheten Michelangelos. Immer wieder aufs Neue lässt die Welt sich dazu verführen, sich wieder verzaubern zu lassen. Für alle außerhalb der hierzulande noch immer schrumpfenden, skandalumwölkten Kirche ist das Konklave ein eskapistisches Pop-Ereignis.

Menschen diskutieren in Kneipen über Pizzaballa und Besungu

Trotzdem liegt bei diesem Konklave etwas in der Luft. Menschen diskutieren in Bahnen und Kneipen über mutmaßliche Kandidaten. Die chinesischen Großeltern des progressiven philippinischen Kardinals Tagle werden genauso diskutiert wie die Position des kongolesischen Kardinals Ambongo Besungu, Homo-Segen sei Kolonialismus. Kardinal Pizzaballa hat es aus naheliegenden namentlichen Gründen sogar zum Meme geschafft. Es ist fast wie noch Mitte des letzten Jahrhunderts, als die Frage, wer nachfolgt und wessen Weg er gehen wird, noch in der Tat lebensweltliche Konsequenzen für eine wesentlich stärker kirchlich geprägte Gesellschaft hatte.

Tatsächlich ist es ja auch eine realpolitisch hoch spannende Wahl: Wechselt die Kirche ins autoritäre Lager oder leitet sie eine globale Gegenbewegung zum Rechtspopulismus ein? Versucht sie, mit jenem Pizzaballa auf dem Stuhl Petri effizient den Nahostkonflikt zur römischen Chefsache zu machen – und nebenbei so die Palästina-solidarische Jugend des Westens an sich zu binden? Oder sieht sie ihre Zukunft eher in guten Beziehungen zu den Brics-Staaten und löst sich vom europäischen Katholizismus mit seinen für die Weltkirche irrelevanten Diskursen um Feminismus und Mitbestimmung? Aber mal ehrlich: Erklärt diese realpolitische Brisanz wirklich die überraschend aufkochende Faszination? Ab nächster Woche wären doch sowohl ein rechtskonservativer wie ein linksliberaler Papst nur mehr wieder Grüßauguste der Weltgeschichte für die übergroße Mehrheit derer, die nur zum Konklave den inneren Katholiken in sich entdecken.