Basel, was ist das?

Was macht Basel zu Basel – also jenseits von FCB, Fasnacht, Daig und ESC? Diese Frage steht hinter dem historischen Großprojekt Stadt.Geschichte.Basel. Es erklärt, wie Basel zu Basel wurde, erzählt also, chronologisch, die Geschichte der Stadt von 50.000 vor Christus bis in die Gegenwart. Von der geologischen Formierung der Rheinebene und den Proto-Baslerinnen des Paläolithikums über das Leben in den römischen Siedlungen, das Basler Konzil und die mittelalterliche Handwerksstadt bis zur gewaltsamen Kantonstrennung von Stadt und Land im Jahr 1832/33 und der Geburt des Life-Science- und Kulturstandorts im 20. Jahrhundert.

Und anders als üblich bei solchen Monsterunterfangen sind die neun opulent gestalteten Buchbände innert gerade einmal zwei Jahren erschienen – die letzten beiden in diesem Frühling.

"Raum ist gemacht", schreiben Esther Baur und Lina Gafner, die Herausgeberinnen des neunten und letzten Stadtgeschichtebands. Das erinnert an einen vieldeutigen Rätselsatz des Film- und Kulturtheoretikers Siegfried Kracauer: "Die Raumbilder sind die Träume der Gesellschaft", notierte er in einem Essay über das Berlin der Zwischenkriegszeit. Er meinte damit, dass die Gassen und Gebäude, Fassaden und Hinterhöfe als Chiffren der Geschichte lesbar sind, dass Stadträume also nie selbstverständlich da sind, sondern von historischen Gemengelagen und Machtverhältnissen zeugen. An der urbanen Geografie lassen sich gesellschaftliche Konflikte, die Konkurrenz verschiedener Technologien und die Interaktionen von Menschen, Tieren und Dingen ablesen.

In Basel sind das etwa, wie in fast jeder modernen europäischen Stadt: die lokalen Auswirkungen der Globalisierung, der Wandel von Familie und Sexualität, die Entstehung migrantisch geprägter Räume oder – noch im 19. Jahrhundert – die Auswirkungen von Epidemien wie der Cholera auf die Neuordnung des öffentlichen Raums und die Kanalisierung von Gewässern.

Doch wie jede Stadt hat auch Basel seine ganz spezifischen Geschichten. Da wäre zum Beispiel jene des Chemieunfalls von Schweizerhalle: Der Brand einer Lagerhalle der Firma Sandoz in der Vorortsgemeinde Muttenz im November 1986 hatte katastrophale Auswirkungen für die Umwelt. Der Rhein färbte sich rot, und bis ins 300 Kilometer entfernte Mainz starben die Fische massenhaft. Auch die technischen und gesellschaftlichen Auswirkungen für den Stadtkanton waren erheblich. Es wurden schärfere Risikoanalysen und Sicherheitsmaßnahmen eingeführt, die Skepsis gegenüber den chemischen Unternehmen verstärkte sich und hatte politische Konsequenzen.

Wie eng und ambivalent die Verschränkung Basels mit seiner Leitindustrie – erst der Chemie und heute der Pharma – war und ist, zeigt sich im Stadtteil Klybeck. Dort wurde 1884 die Gesellschaft für chemische Industrie in Basel, die Ciba AG, gegründet. Später ging aus ihr der heutige globale Pharmariese Novartis hervor. Es ist eine im wahrsten Wortsinn toxische Geschichte: Die Produktion des Farbgrundstoffs Benzidin verursachte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur eine Blasenkrebs-Epidemie unter den Ciba-Arbeitern. Die Firma entsorgte auch tonnenweise giftige Abfälle im Boden, sodass noch bis vor wenigen Jahren Benzidin im Grundwasser am Unteren Rheinweg festgestellt wurde. Der Traum des Fortschritts hatte sich als Albtraum einer maßlosen Zerstörung materialisiert.

Ähnliches geschah auch beim Hardwald, eingequetscht zwischen Rheinhafen, Industrieareal, Rangierbahnhof und Autobahn. Über die Jahrhunderte war dieses unscheinbare Wäldchen ein "Aushandlungsraum". Zuerst ging es um Holznutzungs- und Weiderechte der Landbevölkerung und der städtischen Herrschaft, dann um Modernisierungsprojekte wie zum Beispiel einen Flugplatzneubau. Besagter Plan wurde 1943 vom Volk verworfen, genau wie die Vorlage zum Autobahnausbau im vergangenen Jahr, dem mit dem Rheintunnel ein weiteres Stück Hardwald hätte weichen müssen.

Doch moderne Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner träumen nicht nur von Natur, sondern auch von geistigen Aufbrüchen. Deshalb erzählt die Stadt.Geschichte.Basel auch davon, wie Beizen und Bürgervillen zu avantgardistischen Kraftorten wurden. Sei es bei der aufkommenden Homosexuellenbewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts oder bei der bewegten Jugend ab den 1970ern: Umgenutzte Orte wie die legendäre Alte Stadtgärtnerei, die Kaserne oder das nt/Areal auf dem ehemaligen Güterbahnhof der Deutschen Bahn boten Platz für alternative Gemeinschaften, Autonomie und ungezügelte Partys abseits der bürgerlichen Raumordnung. Standen solche Projekte zunächst im Konflikt mit Verwaltung und Institutionen, gingen ab den frühen 1990ern Kultur und Kapital zusammen. Während in Zürich die Besetzung des Wohlgroth-Areals noch für gewaltigen Ärger sorgte, handelten Basler Aktivisten für den Werkraum Schlotterbeck mit der Gebäudebesitzerin, der ehemaligen Schweizerischen Volksbank, einen Mietvertrag aus.

Doch keine Kulturalisierung ohne Deindustrialisierung – und umgekehrt. Seit die Basler Chemie ihre Produktion nach China ausgelagert hat, dominieren bei der urbanen Umgestaltung Basels die Schlagworte Innovation und Kreativität. Kein Areal, das neben Wohnungen nicht auch die verschiedensten Gastro-Ökowirtschaft-Kulturprojekte beheimaten soll. Die Raumbilder der Stadt verändern sich mit der Zeit, und in ihnen wandeln sich auch die Träume der Gesellschaft.

Die Stadt.Geschichte.Basel. Gesamtausgabe in 9 Bänden. Christoph Merian Verlag, Basel 2024/5; ca. 3000 S., 351,– Fr.