Unwahrscheinliche Begegnung
Gemessen an seiner Bedeutung ist dieses Blatt verblüffend klein, sobald man davorsteht. Der Angelus Novus, der neue Engel, jene Zeichnung von Paul Klee, nicht mal 30 x 25 Zentimeter, ist nun für kurze Zeit im Berliner Bode-Museum zu sehen. Seinen großen Ruhm verdankt das Kunstwerk auch seinem Vorbesitzer, dem Philosophen Walter Benjamin, der das Engelsbild 1921 erwarb und es in seinen Thesen Über den Begriff der Geschichte einer Deutung unterzog, an der sich Zeitdiagnostiker abgearbeitet haben.
Für Benjamin war der Engel ein Denkbild, in dem sich dunkel und prophetisch andeutete, was nur wenige Jahre später tatsächlich als Unglück über das 20. Jahrhundert hereinbrechen sollte. Im Bode-Museum ist nun nicht allein Benjamins "Engel der Geschichte" zu sehen. Auch der 1945 bei einem Brand beschädigte Kniende Engel von Giambattista Bregno ist da, an der gegenüberliegenden Wand eine Reproduktion von Caravaggios Der heilige Matthäusund der Engel, das als verschollen gilt. Man sieht Albrecht Dürers Melencolia I, die große Allegorie des saturnischen Grübelns, ihr gegenüber eine Fotografie Benjamins, aufgenommen von Gisèle Freund, das Gesicht voller Schwermut, voller Vorahnung. Benjamin verschlug es auf der Flucht vor den Nazis von Berlin erst nach Paris, dann nach Marseille und in die Pyrenäen, wo er 1940 Suizid verübte.
Klees Blatt überlebte, weil Benjamin es vor seiner Flucht mit anderen Papieren in der Bibliothèque nationale in Paris versteckte. Von dort gelangte es in die Hände Theodor W. Adornos und nach Jerusalem zu Gershom Scholem. Heute liegt es im Israel-Museum, eigentlich zu fragil, um überhaupt ausgestellt zu werden. "Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei", schreibt Benjamin. Man sollte also besser nicht versäumen, diese seltene Gelegenheit zum Bestaunen zu ergreifen.