Verblüffend verunsicherte Truppe

"Leprakolonie" nennt der AfD-Abgeordnete Matthias Helferich den Flügel des Bundestags gegenüber der britischen Botschaft in Berlin, in dem er zum Gespräch empfängt. Hier habe seine Fraktion die "politisch Aussätzigen" untergebracht, sagt er lächelnd, solche wie ihn halt. Tatsächlich wollte die Fraktionsspitze den 36-jährigen Anwalt, der sich in einem Chat mal "das freundliche Gesicht des NS" genannt hatte, in der vergangenen Legislaturperiode nicht in ihren Reihen haben. Dieses Mal wurde er durchgewinkt; sein nordrhein-westfälischer Landesverband, in dem seit anderthalb Jahren ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich läuft, stritt mit Fraktionschefin Alice Weidel darüber, wer daran schuld sei.

Die Causa Helferich ist das perfekte Sinnbild für die verwirrende Lage der AfD. Einerseits surft sie seit Jahren auf einer Welle des Erfolgs. 2026 könnte sie bei Landtagswahlen erstmals in Sachsen-Anhalt in die Nähe der absoluten Mehrheit kommen und in Baden-Württemberg, einem westdeutschen Flächenland, die CDU in Bedrängnis bringen. Gleichzeitig spült dieser Erfolg aber auch Figuren nach oben, die sich vom Establishment der Partei immer weniger kontrollieren lassen. Die das Gesicht der AfD verändern, ihre öffentliche Wirkung prägen. Ihr ein Gutachten vom Verfassungsschutz einbringen, das mehr Eindruck macht, als AfD-Vertreter nach außen zugeben. Wer sich dieser Tage in der Partei umhört, trifft auf eine verblüffend verunsicherte Truppe.

Gerade hat der Spiegel Mails aus Helferichs Zeit bei der Burschenschaft Frankonia veröffentlicht, in denen der Abgeordnete zwischen 2014 und 2016 Sätze geschrieben haben soll wie etwa "Du hast noch meine gesamte Rassenkunde-Literatur, du jüdischer Langfinger", oder: "Advent, Advent, ein Asylantenheim brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht der Helferich vor der Reichstagstür". Helferich bestreitet, Autor der Mails zu sein. Beim Treffen im Bundestagsbüro erklärt er, ein Account aus der Burschenschaft sei damals vermutlich von der "Autonomen Antifa Freiburg" gehackt worden, die dann auch Texte manipuliert habe. Sein Landesverband, wo man Helferichs Version der Ereignisse nicht glauben mag, verlangt nun, der Bundestagsabgeordnete solle seine Sicht der Dinge vor Gericht beweisen und eine Abmahnung des Spiegel erwirken. Darauf ist Helferich nicht eingegangen. Er erstattete Anzeige gegen unbekannt.

Auf die Frage, ob die Fraktionsspitze ihm seine Version der Geschichte abnehme, hört man aus deren Umfeld Sätze wie: "Alice Weidel wird einen Teufel tun, das anzuzweifeln. Sonst kramen Leute die E-Mail heraus, die ihr zugeschrieben wird." In dieser Mail, die Weidel 2013 geschrieben haben soll, ist in Reichsbürger-Sound von der Regierung als "Diese Schweine" die Rede, die nichts "als Marionetten der Siegermächte des 2. WK" seien und die Aufgabe hätten, das Volk kleinzuhalten durch Überfremdung. Weidel hat sich in der Sache nie eindeutig geäußert. Wie Helferich hat auch sie davon abgesehen, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Wie soll sie da Helferich unter Druck setzen?

Matthias Helferich hat in seinem Büro einige deutliche Botschaften platziert: ein Porträt des Widerstandskämpfers Graf von Stauffenberg, mit dem sich viele AfD-Leute identifizieren – schließlich seien auch sie im "Widerstand". Ein Gemälde des brennenden Rom beim Einfall der Vandalen (Migrationskrise), ein Bismarck-Konterfei und eine Karikatur von Friedrich Merz, der mit ausgestrecktem Finger und Zylinderhut auf den Betrachter zeigt: "Ich will, dass Du für die Ukraine kämpfst!" Auf dem Fensterbrett liegt eine Stoffpuppe von Pepe, dem Frosch, einem Maskottchen der Neuen Rechten.

Der geborene Dortmunder Helferich erzählt, er sei Sohn linker Eltern ("Sie waren nie verheiratet, was mich nicht störte") und Enkel einer der – inzwischen verstorbenen – längstdienenden Sozialdemokratinnen der Stadt. In ihrem Haus im Dortmunder Westen wohnt er noch heute. Als erstes politisches Buch schenkte ihm seine Mutter, eine Lehrerin, Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht. Er selbst war zehn Jahre lang in der Jungen Union/CDU aktiv, bis er 2015, mitten im ersten juristischen Staatsexamen, aus Empörung über die Flüchtlingspolitik Angela Merkels austrat. "Ich fand die Massenzuwanderung wirklich bedrohlich. Aber natürlich hat auch der Protest gegen das Elternhaus eine Rolle gespielt. Man konnte nur von rechts provozieren, wenn sogar der Punk noch im BMW zur Schule gefahren wird. Der kleine Mann wählt rechts."

Die Lage: ein Gemisch aus Siegeszuversicht und Selbstzweifel

Fragt man Helferich, welches Ereignis ihn politisiert habe, verweist er lachend auf seine Nase. Auf dem Weg nach Hause aus der Disco sei er als Jugendlicher am Dortmunder Hauptbahnhof von einer Gruppe junger Türken verprügelt worden; die Nase sei seitdem immer krumm geblieben. Aber nicht die Prügelei habe den Ausschlag gegeben, sondern die Sehnsucht nach "echter Politik". Was ist "echt"? Helferichs Hinterkopf ist voller Schmisse aus der Zeit bei der Burschenschaft. Er hat das Akkurate, streng Gescheitelte, die starre Mimik vieler AfD-Gesprächspartner, zugleich einen verblüffend selbstironischen, düster-spielerischen Humor, der sicher schnell mal ins Grausame kippen kann.