Jens Spahn soll bei Maskenbeschaffung Fachberater ignoriert haben
Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist in der Coronapandemie laut einer Untersuchung "gegen den Rat seiner Fachabteilungen" in großem Umfang in die Schutzmaskenbeschaffung eingestiegen. Spahns Entscheidung, die Beschaffung allein meistern zu wollen, ziehe bis heute "erhebliche Kosten und Risiken" nach sich, heißt es in dem Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.
Der Bundesverwaltung und den Beschaffungsbehörden hatte Spahn demnach nicht vertraut. So habe es keine bedarfsgerechte Steuerung durch das Ministerium gegeben. "In der Folge wurde über den im Krisenstab festgelegten Bedarf hinaus beschafft", schreibt Sudhof. Fehlendes ökonomisches Verständnis und politischer Ehrgeiz könnten "wie in diesem Fall, dazu führen, dass nicht als Team 'Staat', sondern als Team 'Ich' gehandelt wird".
Das Gesundheitsministerium unter der neuen Ressortchefin Nina Warken (CDU) distanzierte sich von dem Sonderbericht, den und weitere Medien zuvor bereits in Auszügen hatten. Teilweise würden dort Tatsachen vorgetragen, die durch Quellen nicht untermauert seien. Das Nachrichtenportal t-online veröffentlichte den Bericht in Gänze (hier als PDF).
Spahn stellt sich am Mittwoch dem Haushaltsausschuss
Erst am Montag hatte Warkens Ministerium den bereits seit Monaten vorliegenden Bericht mit geschwärzten Passagen an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Bundestags gesendet. Sudhof war noch von Spahns Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) eingesetzt worden. Lauterbach und Warken veröffentlichten den Bericht zunächst nicht. Warkens Begründung: Der Bericht betreffe auch laufende Gerichtsprozesse und enthalte personenbezogene Daten.
Spahn begrüßte die Vorlage des Berichts. Er sei froh, dass der Text nun gelesen werden könne, sagte der Unionsfraktionschef. "Vor allem kann man das jetzt sachlich und fachlich bewerten." Spahn bekräftigte, dass er sich am Mittwoch den Fragen des Haushaltsausschusses stellen wolle. Er habe dies freiwillig angeboten, was eher unüblich für ein Nichtregierungsmitglied sei. Da er aber wisse, "warum wir was in schwieriger Zeit entschieden haben", stehe er gerne Rede und Antwort.
Rechtsstreitigkeiten könnten Milliarden kosten
Sonderermittlerin Sudhof, vormals Staatssekretärin in mehreren Ministerien, stellte in ihrem Bericht weiter fest, nach Spahns Entscheidung zur Coronaschutzmaskenbeschaffung habe eine Leistungsvergabe "in kürzester Zeit und in bis dahin nicht vorgesehenem Volumen" begonnen. Innerhalb weniger Wochen seien Verträge im Wert von mehr als 11,6 Milliarden Euro geschlossen worden. Als problematisch werden etwa Lieferverträge ohne weitere Verhandlungen zu festen, hohen Preisen genannt. Wegen erheblicher Lieferausfälle seien dann tatsächlich viel weniger Haushaltsmittel gebraucht worden. Allerdings gebe es unter anderem Haushaltsrisiken aus laufenden Rechtsstreitigkeiten von 2,3 Milliarden zuzüglich Zinsen von knapp bis zu 1,4 Milliarden Euro.
Den damals Verantwortlichen der Ministerien und Dienststellen bescheinigt Sudhof, "Unvorstellbares" zu leisten gehabt zu haben. Doch sie schreibt auch: "Viele Aktivitäten gingen an die Grenze der rechtlichen Vorgaben, was in der Gesamtheit durchaus Fragen aufwirft." So seien Expertisen unter anderem des Bundesinnenministeriums übergangen worden. Auch als sich "worst-case-Betrachtungen" bewahrheitet hätten, sei im Bund vorhandene Expertise nicht eingeholt, sondern weiter auf externe Berater und Kanzleien vertraut worden.
Spahn intervenierte trotz Auslagerung der Maskenbeschaffung
Sudhof schreibt, das im Bundesgesundheitsministerium tätige Team sei bei der Zuspitzung der Corona-Krise im März 2020 mangels administrativer Ausstattung und operativer Vorerfahrung "völlig überfordert" gewesen. Also habe man eine Beratungsgesellschaft beauftragt – zunächst nur zum Zusammentragen der inzwischen angefallenen Daten. An den Berater sei die Maskenbeschaffung dann quasi komplett ausgelagert worden. Die Fachebene des Ministeriums habe dabei versucht, Spahn davon zu überzeugen, "dass mangels Expertise und Personal die Beschaffung nicht ins Haus geholt, sondern bei den Beschaffungsbehörden verbleiben sollte", schreibt Sudhof. "Dies jedoch vergeblich. Der damalige Bundesminister intervenierte immer wieder persönlich und nutzte seine Kontakte."