Gipfel in Den Haag beginnt: Die Nato macht sich bereit – und hübsch für Donald Trump 

Es ist nicht nur ein Gerücht, dass das knackig kurze Gipfelprogramm von nicht einmal 24 Stunden mit Donald Trump zu tun hat. Das Nato-Treffen im niederländischen Den Haag sei, wie es in deutschen Regierungskreisen heißt, „ihm zuliebe ein schön kompaktes Format geworden, mit wenig Arbeitssitzungen“.

Weniger nerviges Klein-Klein, dafür eine große Show, in der der US-Präsident mit einigem Recht auf einen großen Erfolg verweisen kann: Das neue Finanzziel der Allianz, das bis vor Kurzem noch als unvorstellbar galt. Es findet sich mit anderen geplanten Beschlüssen im Entwurf der Abschlusserklärung wieder – auf einem Trump-freundlichen Einseiter.

1 Bis wann wollen die Nato-Staaten wie viel ausgeben?

Als Trump noch vor Amtsantritt Anfang Januar erstmals forderte, die 32 Länder in der Allianz sollten fünf statt bisher zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Rüstung investieren, war auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sehr skeptisch. „Das könnten wir weder stemmen noch ausgeben“, sagte er damals dem Tagesspiegel, weil das gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2024 rund 215 Milliarden Euro im Jahr wären – fast die Hälfte des Bundeshaushalts.

Eine Verfassungsänderung später, als die Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigung und Infrastruktur möglich wurde, wird auch Deutschland dem neuen Finanzziel zustimmen. Es geht darum, die Amerikaner an Bord zu halten, weil man mit einem allmählichen Abzug der USA aus Europa auf lange Sicht wohl klarkäme, nicht aber mit einem überstürzten. „Es macht einen Unterschied, ob es schnelle disruptive Bewegungen gibt oder ob wir in einen strategischen Dialog dazu kommen“, heißt es im Umfeld von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).

Dass Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) in seinem am Montag präsentierten Etatentwurf für 2029 klassische Verteidigungsausgaben in Höhe von 3,5 Prozent des BIP vorsieht, nimmt es vorweg. Die weiteren zur Fünf-Prozent-Marke fehlenden 1,5 Prozentpunkte sollen aus „verteidigungsrelevanten“ Investitionen in panzertaugliche Straßen oder die Cyberabwehr kommen.

2 Warum stellte sich Spanien auf den letzten Metern quer?

Am Freitag und über das Wochenende herrschte im Brüsseler Nato-Hauptquartier noch einmal Alarmstimmung vor dem Gipfel. Fieberhaft wurde noch an der Finanzvereinbarung gefeilt, nachdem Spaniens sozialdemokratischer Premier Pedro Sánchez am bisherigen Zwei-Prozent-Ziel festhalten wollte. Aus seiner Sicht ist es zum einen ausreichend für die entsprechende Bewaffnung seines Militärs und gefährdet zum anderen nicht den Sozialstaat seines Landes.

Es gibt beim Fünf-Prozent-Ziel keine Ausnahme.

Nato-Kreise zur angeblichen Sonderregelung für Spanien

Dass der Regierungschef im Anschluss an die Last-Minute-Verhandlungen mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte öffentlich sagte, dass er für Spanien eine Ausnahme erwirkt habe, wurde am Montag in Brüssel und Berlin vor allem mit der prekären innenpolitischen Lage erklärt.

„Premierminister Sánchez ist in seiner Fraktion und Koalition unter Druck“, sagte Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, dem Tagesspiegel: „Ich habe den Eindruck, er hat die Zeichen der Zeit schon verstanden: Auch Spanien wird einen qualitativ und quantitativ anderen Beitrag zur Nato leisten als bisher – daran habe ich keine Zweifel.“

3 Sind alle Nato-Staaten beim Geld nun an Bord?

„Es gibt beim Fünf-Prozent-Ziel keine Ausnahme“, hieß es auf Anfrage des Tagesspiegels in Nato-Kreisen: „Im Entwurf der Abschlusserklärung bekennen sich alle 32 Mitgliedstaaten dazu, es bis 2035 zu erreichen.“ Rutte habe in seinem Briefwechsel mit Sánchez „dessen Haltung lediglich zur Kenntnis genommen und darauf hingewiesen, dass Spanien wie alle anderen Alliierten auch seinen eigenen Weg zur Erfüllung der Nato-Fähigkeitziele gehen kann“.

Erreicht hat Spanien zusammen mit anderen Ländern, die schon Schwierigkeiten mit der alten Zwei-Prozent-Marke hatten, dass die neue nicht schon 2032 erreicht werden muss. Gegen diese erste Jahreszahl im Entwurf waren unter anderem Belgien. Luxemburg, Großbritannien und Kanada diplomatisch zu Felde gezogen. Zudem soll das Ziel selbst 2029 einer Revision unterzogen werden.

4 Was genau ist unter verteidigungsrelevanten Ausgaben zu verstehen?

Um die von Trump geforderte Marke überhaupt erreichen zu können, hatte sich Rutte überlegt, dass ein Teil der fünf Prozent auch über „verteidigungsbezogene Infrastrukturausgaben“ erreicht werden könnte. In Deutschland hatten im Zuge der Grundgesetzänderung insbesondere die Grünen unter dem Stichwort „Gesamtverteidigung“ darauf gedrungen, dass auch für jene staatlichen Aufgaben Schulden aufgenommen werden dürfen, auf die es im Kriegsfall ebenfalls ankäme.

Während der Verhandlungen zwischen den Nato-Mitgliedstaaten gab es jedoch die Sorge, die Voraussetzungen könnten so schwammig formuliert werden, dass bereits bestehende Ausgaben etwa für das Gesundheitssystem angerechnet werden könnten. „Ein gesondertes Dokument legt die Kriterien für die 1,5 Prozent verteidigungsrelevanten Ausgaben fest“, heißt es nun vor dem Gipfel im Brüsseler Hauptquartier: „Darunter fallen beispielsweise Ausgaben für einschlägige Infrastruktur, Cybersicherheit, Zivilschutz oder Vorratslagerung.“

Auch die bessere Ausstattung der Geheimdienste wird auf das Erreichen der Quote angerechnet werden können. „Die Nato wird diese Ausgaben jährlich überprüfen“, heißt es unter Diplomaten der Allianz.

5 Bleibt die Ukraine beim Nato-Gipfel auf der Strecke?

Wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von Trump und seinem Team Anfang Februar im Weißen Haus vorgeführt wurde, war ein Weckruf für die Verbündeten in der Nato. Wirklich repariert ist das Verhältnis der beiden Präsidenten noch nicht – beim G7-Gipfel vergangene Woche reiste Trump wohl auch deshalb früher ab, um dem Staatschef aus Kiew aus dem Weg zu gehen.

Nun sollen die beiden zumindest beim vom niederländischen Königspaar gegebenen Abendessen am Dienstagabend aufeinander- treffen. Ob es am Rande auch zu einem bilateralen Gespräch kommt, ist offen – ebenso wie die Frage, inwieweit Washington Kiew noch aktiv unterstützt. Die anderen Europäer wollen aber herausstellen, dass die Ukraine auch in den nächsten zwölf Monaten wieder mit Hilfe im Wert von mindestens 40 Milliarden Euro rechnen kann.

Diese Zahl findet sich im Abschlusskommuniqué ebenso wenig wie das Bekenntnis zu einer Mitgliedschaft, die Trump nicht will. „Die Frage des ukrainischen Nato-Beitritts wird bei diesem Gipfel nicht erneut thematisiert“, heißt es dazu in Nato-Kreisen: „Damit gilt das weiter, was in Washington beschlossen wurde – dass sich Kiew ,irreversibel’ auf dem Weg in die Allianz befindet.” Gleichwohl sehen viele Beobachter darin ein enttäuschendes Signal für Kiew.

In deutschen Regierungskreisen wird darauf verwiesen, dass es ein Bekenntnis aller Mitgliedstaaten inklusive der USA zur weiteren Unterstützung der Ukraine genauso in die Erklärung geschafft hat wie die Erwähnung Russlands als Bedrohung, aus der sich die neue Aufrüstung der Nato ableitet. Das wird „unter den neuen Rahmenbedingungen“ mit Trump bereits als Erfolg gewertet, weil selbst diese Formulierungen alles andere als selbstverständlich waren.

6 Welche Rolle spielt das amerikanische Eingreifen im Iran?

„Der Iran steht nicht auf der Tagesordnung, wird aber Thema sein“, heißt es im Umfeld von Merz, der vor seinem Flug nach Den Haag am Dienstag im Bundestag noch eine Regierungserklärung zum Nato-Gipfel abgeben wird. Der Kanzler will sich am Rande des Treffens in mehreren Gesprächen dazu abstimmen.

Könnte die Nato aber direkt involviert werden, falls iranische Gegenschläge die USA in irgendeiner Weise treffen sollten, dass sie eine Ausrufung des Bündnisfalls verlangen? „Das ist eine Frage, die sich jetzt nicht stellt“, heißt es dazu in Regierungskreisen. Für ganz ausgeschlossen hält man das Szenario demnach nicht, auch wenn bei den amerikanischen Fähigkeiten in der Region unklar sei, wozu die Europäer im Bündnis überhaupt gebraucht werden könnten.