25 Milliarden Euro für die Sozialstaatsverwaltung? Keine irre Summe

Wenn Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beklagt, dass die gesetzlichen Sozialversicherungen jährlich rund 25 Milliarden Euro für Verwaltungskosten ausgeben, klingt das zunächst nach einem Skandal. Elf Milliarden Euro in der Krankenversicherung, je fünf Milliarden in der Renten- und Arbeitslosenversicherung – das sei, sagt Dulger, mehr als für Elterngeld, Wohngeld und BAföG zusammen. Seine Forderung: straffere Strukturen, mehr Digitalisierung, weniger Kosten.  

Hat der Arbeitgeberpräsident recht? Leistet sich Deutschland einen aufgeblähten Sozialstaat mit einer sehr teuren Verwaltung? 

Wer sich intensiver mit den Sozialversicherungen und dem Wesen des Sozialstaats beschäftigt, stellt schnell fest: Hinter dieser scheinbar nüchternen Zahlenschau verbirgt sich eine gefährliche Verkürzung. Dulger blendet aus, was Verwaltung in einem Sozialstaat eigentlich bedeutet – und warum ihre Reduktion auf eine betriebswirtschaftliche Kennzahl nicht nur sachlich falsch, sondern politisch kurzsichtig ist. 

Verwaltungskosten sind nicht einfach ein lästiger Posten im Haushaltsplan. Sie sind das Rückgrat eines Systems, das Millionen Menschen Sicherheit, Stabilität und Teilhabe ermöglicht. Wer einen Rentenantrag stellt, Krankengeld beantragt oder arbeitslos wird, ist auf eine funktionierende, erreichbare und gerechte Verwaltung angewiesen. Diese Prozesse sind komplex, weil sie es mit Menschen zu tun haben – mit ihren Biografien, Brüchen, Krankheiten, Hoffnungen. Eine effiziente Verwaltung ist wichtig, da hat der Arbeitgeberpräsident recht. Aber sie darf nicht auf Kosten von Qualität, Gerechtigkeit und Menschlichkeit gehen. Doch dieses Risiko droht, will man die Ausgaben drastisch reduzieren. 

Reines Lobbying

Denn natürlich fallen für die Beschäftigten in den Sozialversicherungen Personalkosten in Form von Gehältern und Sozialbeiträgen an. Auch die Miete und der Unterhalt von Verwaltungsgebäuden kosten Geld. Ebenso müssen die Dienstleistungen Dritter wie IT-Dienstleister oder der Druck und Versand von Bescheiden bezahlt werden. Verwaltungsprozesse sind nicht kostenfrei zu haben. 

Anträge auf Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Renten müssen bearbeitet werden, Versicherte beraten und betreut werden – gerade die Arbeitsagenturen und Jobcenter haben bei der Vermittlung von Arbeitslosen viel zu tun. Auch Ansprüche, etwa auf Bürgergeld, müssen geprüft werden, ebenso sind Kontrollen in einem Rechts- und Sozialstaat erforderlich. Das alles ist sehr teuer – 25 Milliarden Euro pro Jahr kommen so zusammen. Diese Summe aber entspricht nicht einmal den Ausgaben für das Bürgergeld, das für dieses Jahr mit 36 Milliarden Euro veranschlagt wird. 

Wenn also Dulger die Ausgaben für die Verwaltung der Sozialversicherungen als besonders hoch und fast schon verschwenderisch darstellt, ist das reines Lobbying. Die Arbeitgeber wollen die Lohnnebenkosten reduzieren – dies zu fordern, ist ihr gutes Recht, immerhin finanzieren sie die Ausgaben paritätisch mit. Doch reines Sparen wird wenig bringen. Die demografische Alterung wird unweigerlich in den kommenden Jahren dazu führen, dass die Sozialbeiträge noch weiter steigen. Es braucht eine politische Lösung, etwa eine umfassende Reform der Sozialversicherungen. Die neue Bundesregierung will in den kommenden Wochen eine Expertenkommission damit beauftragen.

Die Vorstellung aber, man könne durch pauschale Kürzungen Milliarden sparen, ist irreführend. Selbst bei einer hypothetischen Einsparung von zehn Prozent, die der BDA-Präsident fordert, wäre der Effekt auf die Beitragssätze minimal – die eingesparten 2,5 Milliarden Euro entsprächen weniger als einem Prozent der Gesamtausgaben der Sozialversicherungen. Gleichzeitig würden Servicequalität, Bearbeitungszeiten und das Vertrauen in die Institutionen massiv leiden. Schon heute klagen viele Bürgerinnen und Bürger über überlastete Hotlines, lange Wartezeiten und unverständliche Bescheide. Wer hier weiter kürzt, riskiert nicht nur Frust, sondern auch gesellschaftliche Entfremdung.