"Der 'Rest der Welt' meldet sich zurück"

DIE ZEIT: Sie haben gerade ein Buch veröffentlicht, das man so zusammenfassen könnte: "Wenn die westliche Weltordnung zusammenbricht, werden der globale Handel und die internationale Kooperation schon überleben!" Ist denn Ihrer Meinung nach der Westen bereits am Ende?

Amitav Acharya: Ich sage schon seit mehr als einem Jahrzehnt das Ende der sogenannten liberalen internationalen Ordnung voraus, der von den USA dominierten Ordnung. China, Indien und andere Mächte des Globalen Südens steigen auf, und die hauptsächlich von den USA geschaffenen Institutionen werden schwächer. Jetzt kommen bange Fragen auf: Was passiert als Nächstes?

ZEIT: Auf der Suche nach einer Antwort haben Sie zuletzt 5.000 Jahre Menschheitsgeschichte durchgepflügt, angefangen bei den Sumerern über Alexander den Großen hin zum Tributsystem chinesischer Dynastien und zur Tauschlogik der Azteken. Was haben Sie herausgefunden?

Acharya: Ziemlich schnell fällt auf, dass die Idee einer "Weltordnung" immer wieder in der Geschichte aufgekommen ist und dass sie auch umgesetzt wird. Ich finde das beruhigend, weil viele Menschen ja sehr nervös werden, wenn die westlich geprägte Ordnung verschwindet. Das hat auch mit den unzureichenden Lehrbüchern zu diesem Thema zu tun. Darin können Sie überall lesen, dass die heutige Weltordnung von Europa und den USA geschaffen worden sei – aber man erfährt sehr wenig über den Beitrag aus nichtwestlichen Ländern dazu ...

ZEIT: Was Sie für eine schlimme Unterlassung halten, weil das Gedankengut aus anderen Teilen der Welt künftig einflussreicher wird.

Acharya: Ja, aber vielleicht sollte ich klarer ausdrücken, was ich mit "Weltordnung" meine. Diese Ordnung hat ja mehrere Ebenen, und auf allen werden die USA und der Westen schwächer, aber das geht unterschiedlich rasch voran. Militärisch sind die USA immer noch die einzige Macht, die an jedem Ort auf der Welt ihre Stärke ausspielen kann. Und das wird noch lange so bleiben. Auch kulturell werden die USA und der Westen auf absehbare Zeit sehr dominant sein – Kino, Musik, Küche und so weiter. Das liegt an der Kolonialgeschichte und am Erfolg der amerikanischen Massenunterhaltung.

ZEIT: Den raschesten Wandel sehen Sie in der Weltwirtschaftsordnung, wo wir einerseits Chinas Aufstieg erleben und andererseits Donald Trump mit seinen Zöllen und Drohungen die alte Macht wiederherstellen will?

Acharya: Richtig, wobei auch das nicht so ablaufen wird, dass plötzlich alles Bisherige kollabiert und verschwindet und durch etwas Neues ersetzt wird. Meine Vorhersage lautet, dass wir eine Pluralisierung in der Weltwirtschaftsordnung erleben werden. Neue Zentren ökonomischer Macht entstehen, jeweils mit eigenen Stärken und Ideen. Manche meiner Kollegen sprechen von einer Fragmentierung des Weltwirtschaftssystems. Ich sehe das eher als Pluralisierung, als größere Vielfalt.