Können wir bald sehen wie eine Wärmebildkamera?
Mit einem Infrarotblick könnten unsere Augen sehen wie ein Nachtsichtgerät. Oder wie eine Wärmebildkamera. Klapperschlangen und Vampirfledermäuse nutzen Infrarotwellen zur Jagd. Ein Lichtbereich, der für Menschen unsichtbar ist. Tiere mit Sinnesorganen, die Wärmestrahlen wahrnehmen, entdecken ihre Beute sogar in der Nacht und in Verstecken. Und Infrarotlicht verrät noch viel mehr Verborgenes. Etwa, wie gut es einer Pflanze geht: Hat sie zu wenig Wasser, kündigen Infrarotstrahlen das an, bevor ihre Blätter welken. Was, wenn auch wir Infrarotwellen sehen könnten?
Der Neurowissenschaftler Tian Xue von der Universität für Wissenschaft und Technik (USTC) im chinesischen Hefei will das ermöglichen: mit Kontaktlinsen, die Infrarotlicht in für Menschen sichtbares Licht umwandeln. Im Fachmagazin Cell hat sein Team nun Prototypen vorgestellt. Das Besondere daran: ein Material im Nanobereich, das sich mikrofein in die weichen Linsen integrieren lässt.
Nachtsichtgeräte, groß wie Ferngläser, basieren bereits darauf, dass sie Infrarotwellen erkennen, die von Körperwärme und anderen Wärmequellen ausgestrahlt werden. Manche verwenden zusätzlich ein Infrarotlicht, das die Umgebung nur für die Träger des Nachtsichtgeräts erhellt. Rettungsteams nutzen solche Geräte vom Hubschrauber aus, um nachts oder unter dem Blätterdach Vermisste im Wald zu erkennen. Das Militär späht damit Feinde aus. Und Biologen beobachten damit nachtaktive Tiere.
Mit diesen großen, schweren Geräten, die außerdem eine Energiequelle benötigen, würde eine Geheimagentin aber sofort auffliegen. Was die Forschenden aus China entwickeln, ist deutlich unauffälliger und könnte – so die Studienautoren – die klobigen Apparate eines Tages in vielen Bereichen ersetzen. Mit den Linsen könnte man sogar unbemerkt erspähen, was anderen verborgen bleibt.
Das Geheimnis liegt im Nanobereich
Licht – das sind Teilchen, die mit Lichtgeschwindigkeit von der Sonne zur Erde sausen, an Gegenständen abgelenkt, gebrochen oder reflektiert werden. Man kann sich ihre Bewegung wie eine Welle vorstellen. Je nachdem, wie lang die Wellen sind, sehen wir Menschen Licht in verschiedenen Farben. Doch unsere Augen können nur einen kleinen Ausschnitt dieses Spektrums wahrnehmen: den Bereich zwischen etwa 400 und 700 Nanometern. Infrarot, also alles "unterhalb von Rot" ab Wellenlängen von 750 Nanometern bis zu einem Millimeter, sehen wir nicht mehr.
Die Hightechlinsen aus China sollen das ändern. Mit einem Trick: Winzige Teilchen in den Kontaktlinsen sind grob gesagt in der Lage, die langen Wellen des Infrarotlichts so zu filtern und mit Energie anzureichen, dass sie im für Menschen sichtbaren Bereich auf der Netzhaut ankommen. Wer die Linsen trägt, sieht also nicht das Infrarotlicht selbst – dafür müsste man die Sinneszellen verändern – sondern sieht die Strahlen als eine gewöhnliche Farbe wie grün oder blau.
Dass die Superlinsen tatsächlich funktionieren, konnten die Forschenden an Mäusen und ersten Versuchspersonen zeigen. Mäuseaugen können wie wir von Natur aus kein Infrarotlicht wahrnehmen. In ersten Versuchen spritzten die Wissenschaftler Labormäusen die Nanopartikel direkt in die Augen, unter die Netzhaut, woraufhin sich deren Sichtspektrum änderte: Die Tiere reagierten nun auch auf Licht im Infrarotbereich (Cell: Ma et al., 2019).